18. Juli 2005

Holophrase

 

Dieser Film hat die Treppe für den Laufsteg entdeckt, der jetzt folgerichtig Steigsteg bzw. Absteigsteg heißt. Im Jahr 1962 war man also in Hongkong schon viel weiter als anderswo. Bis auf die Zeitlupe. Und natürlich die Nudelkanne, die die Handtasche ersetzte. Performances nur für ganz bestimmte Beobachter. Von denen Frau Su Li zhen trotz nachbarschaftlicher Gewohnheitserwartungen nie ganz sicher sein konnte, dass sie auch ankamen, bei Herrn Chow. Doch meist kam er durch die enge Gasse, kam ihr entgegen, streifte sie, berührte sie, schaute sie bewundernd an. Und verschwand meist in seinem Zimmer. Eine weibliche Stimme aus dem Off, am Anfang des Films, sagt, dass Untätigkeiten des Manns mit Nichtachtung gestraft werden. Hat Herr Chow also etwas falsch gemacht?

 

Eine schnelle sexuelle Erstbegegnung interessiert hier aber nicht. Das Fleisch ist nach außen verlagert, Untreue in Japan, im Hotel in Hongkong dagegen, sogar in dem zweiten (Nr. 2046), wo Frau Su Li zhen Herrn Chow besucht, versucht man, anständig zu bleiben. Und doch ist dieser Film keine moralische Veranstaltung. Die Übertretung, früher Sünde, braucht den Vollzug nicht. Der Film führt vor, was bleibt, wenn aufgeschoben wird. Er gibt sich also bedeckt und nutzt das zur Kleiderschau. Von einem Kleid zum nächsten. Und da es sonst nichts zu sehen gibt, lässt er sich viel Zeit dabei, streckt die Zeit. Sucht immer die gleichen Schauplätze des Nicht-Geschehens auf, Treppe, Küche, Arbeitsplatz, Regenunterstand, Restaurant. Ritornell des Alltags. Auch keine Trotzreaktion, als die Untreue der Ehepartner offensichtlich ist. Wir sind anders als die anderen. Gibt es etwas Entlarvenderes als diesen Satz?

 

Das uralte Thema. Zugehörigkeit, eigentlich, aber das Wasser ist zu tief. Oder die Brücke zu hoch. Dabei müsste man ja nur nebenan gehen, was die beiden auch tun. Anscheinend hilft das nicht. Angst vor den Nachbarn? Das Gerede der Leute? Oder hat es mit dem Bauklötzchenhotelcharakter zu tun? Man darf bei allem nicht dahinter schauen. Zerbrechliche Fassade. Potemkinsches Dorf. Arrangement der Auslage, des Defilés. Hin und wieder diese hustende Zeitlupe, die die beiden, vor allem Herrn Chow, zeigen, wie sie versuchen, aus ihrer Haut zu fahren. Und dieser atemberaubende Beinah-Jump-cut-Abstieg von Frau Tsen im grünen Kleid, der fast ihr Geheimnis preisgibt. Fang mich auf, hier bin ich. Aber diese Fantasie hebt nur ab wie ein verrückt gewordener Drehkreisel, der kurz an jedem Ohr vorbeischrammt.

 

Die lamentierende Musik tut ein Übriges, um alles wieder an seinen Sehnsuchtsplatz zu rücken. Welche Wiederholung bevorzugen Sie? Das kleine schmutzige Geheimnis oder das ewig nicht gefüllte Loch, das man am Ende an anderer Stelle schön zumauern kann? Ein sehr verhaltener Treppenwitz. Deshalb ist ja die Geschwindigkeit draußen. Maggie Cheung ist nicht Charles Chaplin. Aber Chaplin hat auch nichts mit dem Laufsteg zu tun. Und doch fragt man sich, ob man einen erotischen Film gesehen hat. Aber diese Frage ist genauso überflüssig wie die Überlegung, ob die Frau auf dem Laufsteg, an dem man selber gar nicht gesessen oder gestanden hat, ein Kandidat für ein zukünftiges Frühstück abgeben würde. Nach dann doch etwas ermüdenden anderthalb Stunden Stimmungsmache weiß man, was man zu tun hat: schnell sein, bevor der andere lachen kann.

 

Dieter Wenk (07.05)

 

Wong Kar-wai, In the mood for love, HK/F 2000, Buch : Wong Kar-wai, mit Maggie Cheung, Tony Leung u.a.