14. Juli 2005

Das Mehr-Wissen des Papageis

 

Der frühe Wittgenstein hätte Alphaville vermutlich ganz gern gemocht. Sukzessives Ausfällen des Unsagbaren, das natürlich doch in zahlreichen kulturellen Aussageformen in unzähligen Quasselbuden produziert wird, als Programm. Er hätte sein Ohr den traumwandlerisch sicheren Rechenoperationen von Alpha 60 geliehen und sich darüber gefreut, wie schlank schließlich die Diskurswelt geworden wäre. Dünn wie sein „Tractatus logico philosophicus“. Wenn da nur nicht dieser letzte Satz drinstehen würde, der den Wiener selbst verdächtigt gemacht haben würde. Man hätte nicht viel damit gewonnen, wären die philosophischen Probleme der Welt gelöst, denn diese stellen nur die dar, die sich auch tatsächlich lösen lassen. Und das sind nicht so arg viele. Die Arbeit der Maschine in Alphaville ist also eine unmenschliche. Sie reduziert über Gebühr, am Ende stünde nicht der Turm von Babylon, sondern der Elfenbeinturm, und er steht nur für die Maschine. Iwan Johnson (Eddie Constantine) ist mehr verärgert als schockiert über die Umgangsformen, die ihn in Alphaville erwarten. Alles steht Kopf, ein Ja ist ein Nein und umgekehrt, Hotelboys sind weibliches Begleitpersonal als Prostituierte und ein Schwimmbecken ist ein Friedhof. Auch sonst ist nicht viel los in der Stadt, die sich immerhin Hauptstadt der Milchstraße nennen darf, von Johnson aber korrekterweise Zéroville genannt wird. Die Tendenz ist ihr sowieso inhärent. Reduce to the max. <?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:office:office" />

 

Als Reisender und Journalist von der äußeren Welt hat er den Auftrag, mit dem Naturwissenschaftler von Braun ein Interview zu führen. Von Braun ist gewissermaßen der erste Maschinist des Zentralorgans von Alphaville. Technokrat, Machtmensch, Karrierist. Er hat eine entzückende Tochter, Natascha (Anna Karina). Sie steht auf der Schwelle, die es ihr gerade noch erlaubt, so etwas wie menschliche Gefühle zu entwickeln, auch wenn sie schon viel vergessen hat. Johnson findet heraus, dass Natascha eigentlich eine Externe ist, nicht in Alphaville geboren. Das macht ihm Mut, sich entschlossen in Natascha zu verlieben und ihr etwas Unterricht in althergebrachten Kulturtechniken zu geben. Tatsächlich kullert ihr einmal eine Träne über die Wange, was ja eigentlich streng verboten ist. Die Anpassungszwänge in der Stadt sind fürchterlich. Aber fast schämt man sich, als Johnson alias Lemmy Caution, der ja eigentlich Spion ist, das poetische Register zieht und dieses wie eine Grammatik vorstellt. Nicht, weil es so kalt klingen würde, sondern im Gegenteil weil das Poetische so verdammt kitschig klingt. Aber so ist das nun mal und wir haben es so gewollt. Keine Frage, lieber Ulla Hahn als Mutter als Alpha 60 als Vater. Das merkt am Ende auch Natascha, die mit Eddie die fatal rationale Stadt verlässt und das wichtigste Syntagma schon beherrscht: Ich liebe dich.

 

Dieter Wenk (06.05)

 

Jean-Luc Godard, Lemmy Caution gegen Alpha 60 (Alphaville), F/I 1965