12. Juli 2005

Richthofens Frau

 

Diese Erzählung beginnt als Ökokrimi und endet als pathetisches, mythenbeladenes Melodram. Sie spielt in Flandern zur Zeit des großen Krieges und hat als Held den Führer einer deutschen Jagdstaffel, in dem man unschwer den von Freund und Feind so genannten Baron der Lüfte, den Freiherrn Manfred von Richthofen erkennen kann, von dem es heißt, dass er mit 80 Abschüssen der erfolgreichste Flieger während des Ersten Weltkriegs war, bevor es ihn 1918 selbst traf. Der Staffelführer hält Einzug in einem Schloss und lässt für kriegerische Zwecke allerhand Gehölz entfernen. Das passt der Tochter des Schlossherrn, der stolzen Demeter van Beveren, überhaupt nicht. Sie will, dass man wenigstens das Grab der Mutter und den unmittelbar dieses umgebenden Baumbestand ausspare. Mit der größtmöglichen Portion an Verachtung und Demütigungsbereitschaft wird sie beim deutschen Führer vorstellig. Allein, was ihr in dessen Zelt (wie Gaddafi ein Freund des Dauercampings) passiert, lässt alle Vorhaben verstummen. Wer kann dem Blick eines deutschen Helden schon standhalten? Demeters Nanni, die den Blick des Soldaten schon einmal vorgenossen hat, und zwar in realer Stellvertretung („… da es doch dir galt… habe ich ihn mit deinen Augen angesehn. Da fühlte ich dass, wenn ich du wäre, ich nie von ihm loskommen würde.“), spricht zwar eine Warnung aus, aber Demeters Stolz lässt ein Einknicken nicht zu. Im Zelt muss sie einsehen, wer der Stärkere ist, denn der Staffelführer hat, anders als sie, eine Vision, auch wenn diese sich eher im Unendlichen verliert, aber so sind die bezaubernden Blicke nun mal.

 

 „Und wie einen süßen schweren Trank, seltsam dargereicht von der Abgeschlossenheit des Raumes und der Gewalt des Mannes, trank ihr frauliches Herz das erstemal in ihrem Leben das Labsal des Unterliegens vor dem Überlegenen.“ Liebe ist stärker als die Unterscheidung von Freund und Feind. Nur bleibt sie in diesem Fall unerfüllt, denn der Flieger muss wieder in die Luft, und leider wird er abgeschossen, wobei er und sein Flugzeug ins Meer stürzen. Das wird so beschrieben, als ob ein Gott die Welt verlassen hätte. Dann ist der Krieg zuende und Demeter heiratet einen Nachbarn. In der Hochzeitsnacht merkt sie, dass ihr wahrer Gatte irgendwo auf dem Meeresgrund west. Ein Doppelleben beginnt. Das entscheidende setzt in dem Moment ein, wo Demeter am Ufer des Meeres der Unendlichkeit des toten Führers folgt. Und dann kommt die Sensation. Nach zwei Schwangerschaften, die sie normal hinter sich gebracht hat, gerät Demeter in den gefährlichen Bereich eines anderen Spenders, und das ist die perfekte Welle. Der Schaum kommt als Tsunami:

 

„Der leise Schlag der Wellen setzte aus; einen Augenblick verharrte die Flut unschlüssig und erstarrt. Dann lief ein Schillern über die Fläche, ein wildes Zittern befiel das Wasser und vor den entsetzten Augen Demeters stand mitten aus der Flut, weit draußen, eine furchtbare Welle auf, hoch und breit, von Schaum gekrönt und lief mit dunkeln ausgespannten Flügeln geradewegs auf sie zu. (…) Die Welle ergoss sich, durchdrang, durchfeuchtete, durchblutete sie.“

 

Eine zweite Welle setzt Demeter gentlemanlike gekonnt auf den Strand. Dieses Elementarereignis trägt Früchte, Demeter bekommt einen Sohn, und später bekennt sie gegenüber ihrem gesetzlich angetrauten Mann, dass dieser Sohn nicht von ihm sei. Der etwas unförmige Dritte in dieser sonderbaren ménage à trois lässt den Ehemann nach den Ärzten rufen, um möglicherweise Wahnsinn zu diagnostizieren. Ein bestimmter Blick ihres Sohnes in die unbestimmten Fernen des Weltalls bestärkt Demeter in der Annahme, dass sie in der Nachfolge Mariens steht. Bevor sie jedoch von den Ärzten geholt wird, die einen Ortswechsel, und damit den Verlust des Meeresanblicks und damit die Trennung von Manfred empfehlen, geht sie nach Frauenart ins Wasser. Manfred jun. ist natürlich auch dabei.

 

Binding ist schon ein großartiger Kitschkopf, der Beischlaf nicht einfach Beischlaf sein lassen kann. Binding ist ein Vor-Spieler, und meistens geht das zu Lasten der Frauen, die erst in langen Machinationen zu ihrer Sexualität gebracht werden. Der Genuss des Lesers? Zu sehen, wie Mythen zerbrechen, wenn auffällt, wie die Sprache am Stock geht. Direkt in Richtung Abfallkorb. Zum Recyclen?

 

Dieter Wenk (05.05)

 

Rudolf G. Binding, Unsterblichkeit, Potsdam 1942 (Rütten & Loening)