26. Juni 2005

NICHTS bewegt sich wie ein Citroën

 

Wie Peter Kien, den Sinologen aus Elias Canettis unvergleichlichem Roman "Die Blendung", muss man sich die Herrn Gelehrten vorstellen, die Ludger Lütkehaus in einer kuriosen Zusammenschau versammelt hat. Allesamt treibt sie eine echte oder systematische Begeisterung für die Religionen Chinas und Indiens um. Leibniz, Herder, Hegel und natürlich Kant, der Canetti als Vorbild für seinen Roman diente, würde man in der Völkerkunde heute spöttisch als Lehnstuhlethnologen bezeichnen. Eingezwängt zwischen den überfüllten Regalen ihrer Privatbibliothek sinnen sie realitätsfern über das ihnen Fernste und Fremdeste nach: das Nirwana. Immerhin, auch einige Ortskundige und echte Sprach- und Fachgelehrte kommen in Lütkehaus' Lesebuch "Nirwana in Deutschland" zu Wort. Und nach all den Kritikern und Skeptikern der östlichen Philosophien als krönender Abschluss Arthur Schopenhauer, der selbst ernannte "Buddha von Frankfurt".

 

Wenn's innenpolitisch fragwürdig wird, konzentriert man sich auf ferne Länder, und Fremdbegegnung ist Selbstbegegnung, besonders wenn man als deutscher Philosophieprofessor versucht, die fernöstlichen Überlegungen zum Nichts tatkräftig zu bündeln, abzuschätzen, ein bisschen System reinzubringen, um das Beste daraus zu destillieren.

 

Ludger Lütkehaus ist den deutschen Anstrengungen "von Leibniz bis Schopenhauer" nachgegangen. Die aufgeklärten Denker haben sich geplagt mit dem Nichts und forsch geurteilt und sich allerlei seltsamen Irrungen hingegeben. Man stelle sich einen monomanischen Wissenschaftler bei der Einfühlung in Indische Philosophie also als einen nervösen, ungeduldigen und besserwisserischen Kobold vor. Der Kragen platzt ihm bald vor Anstrengung, doch kommt er dem Nirwana kein Stück näher. Am Ende hat er tintige Finger, Hämorriden und den Nihilismus erfunden.

 

Eine der grundsätzlichen Schwierigkeiten besteht darin, dass man als Westeuropäer einen so innigen Glauben an sinnvolle Zusammenhänge pflegt, dass man auch mit dem in China und ab dem 18. Jahrhundert auch in Indien von Europäern angestarrten Nichts dringend etwas machen können muss. Es muss verdammt noch mal zu irgendetwas gut sein. Bevor man so weit war, hat man allerdings erst einmal die Wiedergeburt als unbedingt positiv verstanden, ein gelungenes Gedankengebäude, um die als unsterblich bezeichneten Seelen wieder unterzubringen. Und der ganze Käse mit Seelenverwandtschaft und ewigem Licht hätte so eine schöne interkulturelle Brücke bilden können, hätte es gestimmt. Aber nein, Wiedergeburt ist nicht erstrebenswert.

 

Nichts wurde zur Gleichgültigkeit im ignoranten Sinne, Meditieren war Sitzen, und man hat den dringenden Verdacht, dass diese Geistesgrößen vor allem darum bemüht waren, ihren Berufsstand, den des Philosophen, zu verteidigen vor den politisch hervorragend ohne Scholastikerprobleme funktionierenden Staaten des fernen Ostens. Was wäre wohl, wenn sie überflüssig wären? Nichts wäre gedacht in Europa - die reinste Horrorvorstellung. Sie gehen den Kniffen ihrer eigenen Übersetzungen auf den Leim und haben die schönste Selbsterfahrung dabei.

 

Keine Checkung also, übrigens auch heute noch – Selbsterfahrung ist ja immer noch ein ganz großes Ding. Macht nichts, sagt Lütkehaus in seinem schelmischen Vorwort und gurkt den Leser noch ein bisschen durch die Wutanfälle und Machbarkeitsfantasien der Deutschen. Am Ende hat man sich gut amüsiert und sollte dringend weiterlesen bei den Weisen des Ostens, denn von ihnen bekommt man hier nichts mit. Obwohl sich alle im Buch versammelten Denker das ganze Buch über sie aufregen.

 

Gustav Mechlenburg

 

Ludger Lütkehaus (Hg.): Nirwana in Deutschland. Von Leibniz bis Schopenhauer, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004

 

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