24. Juni 2005

Sieben Märchen

 

Nun erzähle ich niemanden etwas Neues, wenn ich sage, dass Rezensionen den persönlichen Geschmack des Rezensenten widerspiegeln. Wenn ich trotzdem auf diese Tatsache hinweise, dann, weil mein Literaturgeschmack einer ist, der das Düstere, das Pessimistische, das Aggressive bevorzugt. Nicht die Geschichte, das Wort ist wichtig, das Wort allein und keine Weisheit, kein Zweck, nur das Wort und sein Klang sind von Bedeutung. Und müsste ich wählen zwischen dem ruhigen Fließen der Sprache und dem reißenden Schnellen derselben, ich entschiede mich für zweiteres.

 

"Stark und fließend stellten sich Lauras Eltern das Leben ihrer Tochter vor", heißt es in der Erzählung "Laura und Mau", stark und fließend präsentiert sich die Prosa Claudia Rosenwirths in ihrem Erzählband "Die Bäckerin – Sieben Lieben". Claudia Rosenwirths Prosa ist genau das, was mir grundsätzlich nicht entgegenkommt, was mir grundsätzlich verdächtig erscheint: Sie ist sanft, sie ist ruhig, sie ist optimistisch, ihre Sprache stellt sich nicht vor das Erzählte, ist nicht Selbstzweck, im Gegenteil, sie versteckt sich hinter dem Gesagten und ist doch stets präsent, ist in ihrem beständigen Rhythmus – die Herkunft der Autorin aus der Lyrik wird darin deutlich sichtbar – stets vorhanden, aber nie vorderhand, nie überhand nehmend.

 

Ihre Sprache hat nur eine Schwäche: den Dialog. Hier wirkt die ansonsten so leichte oftmals sperrig, unecht, irgendwie gezwungen, vor allem in der Erzählung "Bedarfserhebung". Sobald aber der Dialog im Grunde zum Monolog wird, wie bei der wunderschönen, für mich gelungensten Erzählung "Die Clownfrau", gewinnt die Sprache Claudia Rosenwirths jene Schönheit wieder, welche die narrativen Passagen ihres Erzählbandes auszeichnet:

"Schade, dass ihr Prinzen stets unser Blut wollt. Sogar wenn ihr tot seid, wollt ihr unser Blut."

 

Was Claudia Rosenwirth mithilfe ihrer lyrischen Sprache erzählt sind Märchen. Es sind Märchen, die den Schrecken nicht ausklammern, vom schweren Autounfall des jungen Joe wird in "Nackt bis aufs Wort" erzählt, von der mühsamen Arbeit der Bäckerin in der gleichnamigen Erzählung oder der alten Bäuerin in "Hinter dem Maisfeld", der Tod wird in "Die Clownfrau" und in "Laura und Mau" thematisiert und schließlich das Zerbrechen einer Ehe in "Bedarfserhebung". Aber es sind eben doch Märchen und die haben bekanntlich ein gutes Ende, und so wird Georg Büchners Sterntaler-Version aus Woyzeck nicht wiederholt, denn am Ende steht die Erlösung, die Auferstehung oder zumindest die Hoffnung darauf.

 

Claudia Rosenwirths Hoffnung ist dabei eine religiöse, ihre Märchen sind Märchen mit religiösem Hintergrund, doch wird die Religion, obwohl unübersehbar, niemanden aufgezwungen und zwar genauso wenig wie ihre „Moral von der Geschichte“, die bei keinem Märchen fehlen darf und auch in den Erzählungen des Bandes "Die Bäckerin – Sieben Lieben" nicht fehlt, mit Ausnahme der bereits erwähnten "Bedarfserhebung".

 

"Die Bäckerin – Sieben Lieben" ist kein spektakuläres Buch, wenn man spektakulär – der Vergleich bietet sich für eine von einem Österreicher rezensierte Österreicherin an – im Sinne der wütenden Werke Jelineks definiert, oder – um die Kärntnerin Rosenwirth auch noch mit einem Kärntner zu vergleichen – im Sinne der barocken Sprachgewalt eines Josef Winklers, ist also nicht spektakulär in dem Sinne, als dass es ein den Leser an allen Ecken und Enden überforderndes, mit seiner Sprachmacht überrollendes, niederschmetterndes ist. Claudia Rosenwirths Erzählband ist schlicht und ergreifend ein schönes Buch, ein gutes, nein ein sehr gutes Buch, ein – trotz aller vorhandener Melancholie – fröhliches und optimistisches Buch.

 

Manchmal ist es einfach notwendig, sich vom Spektakulären, vom Hektischen zurückzuziehen. Und manchmal ist es für einen Leser/Rezensenten notwendig, sich von seinem grundsätzlichen Geschmack zu entfernen, um eine verborgene Schönheit zu entdecken. Und dafür ist Claudia Rosenwirths Erzählband mehr als nur geeignet.

 

Claudia Rosenwirth: Die Bäckerin – Sieben Lieben, Klagenfurt, Ljubljana, Wien: Hermagoras, 2003

 

Peter Clar

 

www.rosenwirth.at

 

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