22. Juni 2005

Ius primae noctis

 

Hermann Langs Monografie zu „Jacques Lacans Grundlegung der Psychoanalyse“ erschien zuerst 1973, in dem Jahr, in dem zum ersten Mal ein übersetzter Auswahlband von Lacans „Schriften“ herauskam (bei Walter). Erst zwei Jahre später erschienen zwei Bücher (eins und zwanzig) von Lacans legendärem „Seminar“ in Paris. Hermann Lang verzichtete darauf, das bis dato geheime Wissen, das ihm als Schüler Lacans aus dessen Seminaren bekannt war, als Material für seine Abhandlung zu verwenden. Das war zum einen sehr fair dem Leser gegenüber, der sich nicht ausgegrenzt fühlen musste; zum anderen blieb natürlich genug Esoterik über, um auch nach der Lektüre dieses Buchs zum Teil fassungslos gegenüber dem hermetischen Werk Lacans zu bleiben.

 

Denn gerade die „Écrits“ Lacans (1966) sind nach wie vor ein unlesbares Buch. Hermann Lang tut aber so, als ob diese Schriften (die meisten davon gehen auf Vorträge zurück) das Selbstverständlichste von der Welt seien. „Die Sprache und das Unbewusste“ ist kein kritisches Buch in dem Sinn, dass der Versuch unternommen wird, der Lacanschen Rhetorik nachzugehen und sie auf ihre Funktionsweise zu untersuchen. Ganz unfreudianisch werden die Sätze als Aussagen genommen, die etwas bezeichnen, ganze Absätze Lacans dienen dazu, als ganz unproblematische und unproblematisierte Mitteilungen Sinn zu stiften. Diesen Sinn bringt aber der nicht ganz unbeleckte Lacan-Leser sowieso schon mit: durch seine mehr oder weniger zahlreichen Lacan-Lektüren samt Sekundärliteratur. Seit Jahrzehnten werden also bloß die berühmt-berüchtigten „Polsterknöpfe“ (points de capiton) herumgereicht, die ein fest verankertes Gatter des Verstehens bilden. Dazu gehören natürlich die vielen Aphorismen bezüglich der Analogie von Sprache und Unbewusstem („Das Unbewusste ist wie eine Sprache gebildet“), die mittlerweile Millionenauflage erreicht habenden Paraphrasen des Spiegelstadiums (von denen Hermann Lang als einer der ersten Zeugnis ablegt, und das macht er ganz gut) sowie die mehr oder weniger erfolgreichen Versuche, den kryptischen Algorithmen Lacans im Wortmantel eine gewisse semantische Verdickung zu verleihen. Hier heißt es aber leider immer noch, dass auch Kleinvieh (klein φ, wie viel mehr erst groß Φ, der Phallus-Joker) ziemlich viel Mist macht.

 

Es ist, als ob man sich nur diesseits oder jenseits einer ominösen Grenze aufhalten könne, über die hinaus es keine Verbindungswege gibt. Und deshalb scheint der Lacanismus immer noch wie eine Geheimsprache strukturiert. Was nach wie vor am meisten irritiert – bei Lacan selbst wie bei seinen Adepten – ist auf der einen Seite das unendliche Vertrauen in die Sprache (dies auch eine Erbschaft Heideggers, und es heideggert stark in Langs Buch), auf der anderen Seite die Einflüsterung, dass es auch damit nichts sei. Man hat einen unschönen Stock mit zwei Enden, die sich gegenseitig zertrümmern müssten; sie dienen aber nur dazu, denjenigen, der das eine oder das andere Ende in Frage stellt, in die Flucht zu treiben. Das ist allerniedrigste Psychologie, aber mit Psychologie wollte Lacan ja noch nie etwas zu tun haben.

 

Dieter Wenk (06.05)

 

Hermann Lang, Die Sprache und das Unbewusste. Jacques Lacans Grundlegung der Psychoanalyse, Frankfurt am Main 1973 (1993, 1998)