10. Juni 2005

Peaches en regalia

 

Nach den Junggesellen die jungen Mädchen. Während dort die Karten schon lange ausgereizt sind und die Figuren an ihrem eigenen status quo entlang leben, scheint hier noch alles offen. Das suggeriert auch die Form. Ein Briefroman, hier und da unterbrochen von Gedankenprosa und Vermischtenmeldung. Adressat in den meisten Fällen der Mann – es gibt hier nur einen. Um die dreißig, unabhängig, interessant, Objekt der Begierde. Vor allem von Frauen und Mädchen aus der Provinz. Sie schreiben ihm. Bewundernd, verehrend, verliebt, liebend. Der Briefreigen beginnt und hört auf mit einer Gläubigen, Spirituellen, die keine Forderungen stellt, wie sich das gehört, sondern nur schreibt, was Sache ist, antworte wer will. Er will meistens nicht. Außerdem droht von dort keine Gefahr. Unangenehmer wird es schon, wenn Briefen wirkliche Personen in die Stadt folgen. Die ihre Forderungen eintreiben möchten. Von denen sie glauben, dass sie liebesrechtmäßig bestehen. Sie ist also nicht mehr ganz jung, aber noch ganz unberührt, lebt nicht in Paris, obwohl sie glaubt, dahin zu gehören, und siecht auf dem Nebenschauplatz dahin.

 

Das glaubt man ihr aufs Wort. Sogar der Dichter. Aber was hilft’s? Ihre Erregung verdankt sich ausschließlich ihrer realen oder eingebildeten sozialen Behindertheit. Dieses große Herz schrumpfte wohl schnell in der Stadt zusammen, wo die Probleme andere sind. Aber das sieht sie nicht. Sie glaubt an die Ebenbürtigkeit, an die Rechtmäßigkeit ihres Anspruchs auf ihn, dem sie absurde Vorschläge macht. Zum Beispiel vier Wochen gemeinsam verbringen – danach könne er machen, was er wolle. Gehen oder bleiben. Will sie nur ein bisschen Sex? Manchmal klingt das so. Und  das kann man ihr wahrlich nachfühlen, auf dem Land hat sie nichts zu erwarten, man spürt regelrecht ihren inneren Wecker, der ihr jeden Tag die nicht gehabte Lust vorklingelt. Das ist nicht schön. Aber die Geschichte ist ganz unromantisch. Es wollen eben nicht zwei zueinander kommen, die es nicht können, sondern einer will auf jeden Fall alleine bleiben, mit den gewünschten Unterbrechungen der Zweisamkeit, die er auch hat, natürlich, und somit ist die Geschichte tragisch, für die Frau, und ein bisschen ennuyant für den Mann.

 

Manchmal sind es einzelne Sätze, die über die Figuren richten, so, wenn der Dichter über seine Freundin sagt, alles wäre anders, wenn sie nur ein klein wenig hübscher gewesen wäre. Details entscheiden über Gesamtschicksale. Oder auch unmittelbare Vereinnahmungen. Wie die des Dichters durch die kleine 21-jährige. Da kann das Liebesspiel erneut beginnen, und er weiß, dass es nicht nur Spiel ist, er steckt, einmal angefangen, mittendrin, bis es aufhört, bis der Zweig wieder erkennbar wird, vor der Begegnung, eine von vielen, kein Zeitvertreib mehr. Aber dieses Spiel, das vor allem ja ein Schreibspiel ist, könnte Montherlant heute nicht mehr spielen. Dichter gibt es noch, aber die Frauen fehlen, die ihn dazu machen, woran sie leiden.

 

Dieter Wenk (12.00)

 

Henry de Montherlant, Die jungen Mädchen, München 1962 (dtv) ; Les jeunes filles, Paris 1936