3. Juni 2005

Bio-Boulevard

 

Was macht man mit Teufeln? Man treibt sie aus. Zähmt sie, schafft sie aus dem Weg. In diesem Boulevardstück, das auf Propaganda macht (oder umgekehrt), gibt es zwei Sorten Teufel, weibliche (die Dirne Lizzie Mac Cay) und farbige (der „Neger“ ohne Namen). Keine Frage, dass es Machtmenschen sind, die das religiöse Register ziehen und aus Menschen verschiedenen Geschlechts oder verschiedener Rasse Bürger zweiter oder ohne Klasse machen. Oder eben Teufel. Sartre hat mit diesem Stück einen Südstaatenschocker geschrieben. Kukluxklan-Ambiente. Herrenmenschen, die Mist bauen und andere zum Auskehren bitten. Das Gerücht geht, dass zwei Neger die Dirne Lizzie in einem Zugabteil vergewaltigen wollten und in diesem Unterfangen gestört wurden, wobei ein Neger getötet wurde und der andere fliehen konnte.

 

Die Wahrheit ist, dass ein Weißer, Thomas, ein hohes Tier, Cousin des Senatorensohns, sich ein bisschen tölpelhaft an Lizzie rangemacht hat, und das mochten weder Lizzie selbst noch die mitfahrenden beiden Neger. Ergebnis siehe oben. Am Tag darauf hat Lizzie bereits wieder eine Nacht mit einem Kunden verbracht, Fred mit Namen, wie sich später herausstellt der Cousin des unerzogenen Thomas und Sohn des Senators. Fred ist nicht ganz aus freien Stücken da. Er möchte einen Handel. Fünfhundert Dollar für eine Unterschrift, eine kleine Fälschung des Tathergangs. Lizzie lehnt ab. Da Fred das schon miteingeplant hat, kommt jetzt die Polizei und macht Lizzie darauf aufmerksam, dass Prostitution illegal sei (der Kunde natürlich nicht). Aber Lizzie bleibt hart. Jetzt kommt Teil drei der Persuasion. Die gute Rede, die Sympathie, die Einfühlung. Der Senator selbst tritt auf. Findet es unverschämt, wie Lizzie von den Polizisten bedrängt wird. Eine Lüge ist eine Lüge. Und die Wahrheit die Wahrheit. Das jedenfalls fürs erste. Als anständiger Psychologe geht der Senator jetzt in eine bestimmte Richtung. Bringt ein anderes Schicksal mit ins Spiel, die Mutter von Thomas, Mary, dieser Name wird einfach mal so fallen gelassen. Lizzie geht darauf ein, fragt, wer das sei, und die Maschine fängt an zu laufen.

 

Dann kommt Teil 2 der Übung, die soziale Verantwortung Lizzies als amerikanischer Staatsbürgerin. Der Senator erzählt das Märchen von den zwei ungleichen Söhnen (der eine ist weiß, der andere ist schwarz). Die Geschichte leuchtet Lizzie unmittelbar ein, sie ist so hell (die Geschichte), außerdem redet der Senator so gut, und da der Senator so ein schönes Redebündel (qua Führerrede, nur nicht so laut und brockig wie jenseits des Atlantiks) schnürt, schnurrt der Stift und die Unterschrift ist da. Dann sind die Männer auch schon weg und Lizzie merkt, dass man sie übers Ohr gehauen hat. Aber im zweiten Teil des Stücks darf der Sohn zeigen, dass er ein würdiger Nachfolger seines Vaters werden wird. Diesmal geht es aber nicht mehr um schmutzige Politik (bioethnisch), sondern um das Happyend des Stücks selbst. Boulevard verpflichtet. Fred hat sich in Lizzie verliebt, weil er ihr in der Nacht ein bisschen Spaß verschafft hat. Und sie darf sogar ihren Lebensrhythmus beibehalten, was beiden eine verruchte Sicht auf scheinbar ganz normale bürgerliche Verhältnisse verschafft. Die verheiratete Dirne darf ihren Gatten als Kunden empfangen, dreimal die Woche, er ist nämlich sehr eifersüchtig. Am Ende ist er so lieb, ihr seinen Vornamen zu sagen. Manchmal muss Liebe sich an unschönen Dingen abarbeiten. Aber gerade da zeigt sie, dass sie wirklich hält.

 

Jean-Paul Sartre, Die ehrbare Dirne, Ausgaben bei Reclam, rororo (La P… respectueuse, Paris 1947)

 

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