3. Juni 2005

Autorenfilmer schreiben immer

 

Drei Jahre nach der gebundenen Ausgabe gibt es die herrlichen Geschichten von Patty Diphusa nun auch als Taschenbuch, mehr als fünfzehn Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung, eine nach der anderen, etwa ein Dutzend, in der spanischen Zeitschrift „La luna“. Diese alles andere als diffusen oder gar konfusen Geschichten besitzen auch heute noch eine Frische, an die sich beispielsweise ein deutscher Leser gar nicht erinnern kann. Schon der Namensklang von Almodóvars schreibendem alter ego ist so wenig Effi-Briest-mäßig, dass der hiesige Leser sofort loslassen oder auch, was aufs Gleiche hinausläuft, kräftig zupacken kann am Heißluftballon aus synthetischem Pop-Humor. Und das klappt sogar, auch wenn der Leser bereits seine Erfahrungen mit dem Autor als Filmer gemacht haben sollte, wovon man wohl ausgehen dürfte.

 

Große Frauen (für spanische Verhältnisse auch im körperlichen Sinn), die wissen, was sie wollen, die aufgrund des Endes der bedrückenden politischen Verhältnisse endlich das Pochen der körperlichen Symptome auf ihren Entstehungsort zurückverfolgen können, um endlich ein wenig wie die Hexen auf ihren Stöcken abfahren zu können. Und das Großartige dabei ist, dass die Befreiung nicht als Befreiung dargestellt wird, sondern als Tag- und besonders Nachtprogramm, das unzweifelhaft das schöne Gesetz des Daseins ausmacht und für das jeder einzelne selbst verantwortlich und das in keiner Gruppendiskussion zu lösen ist. Spanien ist nicht Polen. Zeitgleiche, scheinbar ähnliche Motivationslagen können sich sehr unterschiedlich als Lebensgefühl, als Protest, als Gegenbewegung niederschlagen. Die polnische Solidarnosc unter Lech Walesa, bezeichnenderweise ein Mann unter Nur-Männern, ist nicht die von Madrid ausgegangene movida als turbulentes Geschlechterbündel. Die Massenversammlungen der polnischen Schiffswerften sind nicht das je eigene Körperzucken des endlich ausgebrochenen metropolitanischen Night-life.

 

Almodóvar feiert mit Patty, seinem Pornostar, der nicht schlafen kann und will, den Sieg auf die Prämie des gesellschaftlichen Rückstands, der sich mit einem Mal in die vorderste Front eben nicht der etwas langweiligen Zivilgesellschaft, sondern der sofort gründbaren, lebbaren, genießbaren Lust- und Spaßgesellschaft schießt. Patty Diphusa ist die Reinkarnation des Canettischen „Blitz- und Donnerglaubens“, der für den Autor der „Blendung“ selbst nur ein Aberglaube war. Aber die Formel ist ganz einfach: das Leben, dein Leben ist jetzt, und solltest du einen Körper haben, von dem du sagen kannst, dass er andere Körper, wie viele auch immer, nicht ganz gleichgültig lässt, dann bist du selbst schuld, wenn du mit ihm allein bleibst, es sei denn, du schreibst gute Geschichten oder machst dir Gedanken über deinen nächsten Film. Oder liegt vielleicht doch alles nur am Wetter? Haben Sie schon mal Südeuropäer bei steifer Brise an der Ostsee gesehen? Schauspiele, für die man sich warm anziehen muss und bei denen man so einige seiner Illusionen loswerden kann. Patty ist Geographie pur, plus ein bisschen Comic-Komik.

 

Dieter Wenk (07.00)

 

Pedro Almodóvar, Patty Diphusa und andere Texte, Hamburg 1998, Edition 406, 197 Seiten, gebunden, (droemer knaur 2002, broschiert)