1. Juni 2005

Morden wie gedruckt

 

Ein Kriminalfilm ohne jede Spannung, geht das? Ein Inspektor, der nichts falsch macht, der die Zufälligkeit von Indizien wie den neuen Buchstaben im Scrabble-Spiel genießt; der den Gewissheitsbogen zu schlagen versteht als Stehaufmännchen, das niemals fällt? Diese Haltung ist jedoch nötig in einem Szenarium, wo nichts ist, was es scheint. Die berühmte Romanautorin ist nur die Gattin eines Milliardärs. Ihre Sekretärin und Vertraute ist die eigentliche Autorin. Ihr Vater ist ziemlich sprachbegabt und erfolgreicher Teilnehmer an einem Fernsehquiz, bei dem man eine Kreuzfahrt gewinnen kann. Aber hauptsächlich übersetzt er die Werke seiner Tochter in verschiedene europäische Sprachen. Denn die Romane sind Vorlagen für reale Verbrechen, in ihnen wird simuliert, was als Anweisung tatsächlich passieren wird.

 

Wie Lavardin das nur herausbekommen hat? Immer die Seite 100. Aber er war ja schließlich nicht der einzige, auch die vorgeschobene Autorin hat schließlich davon Wind bekommen, deshalb musste sie sterben, von ihrem eigenen Clan erledigt. Nichts willkommener für den Inspektor als dieser Mord. Er lenkt den Anfangsverdacht noch einmal und verstärkt auf den reichen Mann. Den Schuh mit dessen Schuhen zieht sich Lavardin nicht an. Oder sollte etwa eine Pistole nur deshalb im Handschuhfach des Rolls Royce der Lady liegen, weil sie Krimis schreibt? Diese Metapher würde nur anzeigen, dass die Pseudoautorin tatsächlich keine Rolle im Waffenhandelgeschäft zu spielen vermag, denn genau darum geht es und sie ist die Figur, die zu viel ist und das auch noch mitbekommen hat. Zeit, ihrem Gatten Hörner aufzusetzen, hat sie nicht mehr, das Rendezvous hat sie mit dem Tod. Diese Enttäuschung für den Zuschauer muss und kann beglichen werden; gleich zwei Personen, und dazu noch Inspektoren der französischen und italienischen Polizei, bemühen sich um die rätselhafte Sekretärin, die aber im Zentrum ihrer Hauptnebentätigkeit des Schreibens weiterhin ausführendes Organ bleibt. Die nackten Fakten moderiert sie bloß an, für jedermann zu lesen, aber nur für Eingeweihte zu verstehen.

 

Aber die Hermeneutik bleibt insgesamt auf der Strecke, wenn das Arbeiten der Gegner beim Quiz, der bezeichnenderweise „Hieroglyphen“ heißt, sich einer reinen Automatik verdankt. Gewonnen hat, wer am geschicktesten alle nicht relevanten Daten von Lexika auszufällen imstande ist. Die Mensch-Maschine auf dem Gelände der ars combinatoria, auf dem schon immer Eleganz und Geschwindigkeit glänzen konnten. Willkommenes Gelände also für den Franzosen, der, im Gegensatz zu seinem italienischen Kollegen, genau das kapiert, was dieser nur apportiert. Das bringt ihm sogar die Zuneigung der undurchschaubaren Tochter ein. Aber ihr Kuss stammt nicht aus ältester Zeit, er ist ein bekanntes Requisit, ebenso wie die Krimiregelmäßigkeit, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Und so was geht nie mit rechten Dingen zu. Kein Wunder, dass die Quiz-Kontrahenten auf den Joker setzen, auf den Zufall par excellence.

 

Dieter Wenk (07.00)

 

Claude Chabrol, Inspektor Lavardin : Tödliches Rätsel, Frankreich 1988 (Les dossiers de l’Inspecteur Lavardin: Maux Croisés)