31. Mai 2005

Benjamins Benjamin

 

Auch in diesem Büchlein müssen die alten Römer wieder ran. Homo sacer ist in die Ränge verwiesen, den Auftakt machen elegisch byzantinisch benjaminitisch etymo klassisch humanistisch geprägte Betrachtungen zum „Genius“, von dem wir gar nicht wussten, dass es ihn immer noch gibt. Der Leser sei aufgeklärt: „Wenn wir uns nicht dem Genius überließen, wenn wir nur Ich und Bewusstsein blieben, wären wir nicht einmal imstande zu urinieren.“ Albernheiten dieser und anderer Art finden sich zuhauf in diesem ersten von zehn Texten. Der zweite geht über Fotografie, hier wird mal wieder mächtig Mystizismus in ein Medium hineingepumpt. Nach Benjamin, Barthes und so weiter klingen solche Texte nur noch unfreiwillig komisch, die Luft ist raus, der Leser lässt sich nicht mehr so leicht mit erlesenen Thesen und Worten bezirzen. Der dritte Text ist überschrieben „Die Gehilfen“. Er ist leider gar nicht lustig, wie man das beim Lesen vom „Schloss“ in Erinnerung hatte, die Marx-Brothers in Böhmen oder so. Dann erklärt uns der Autor, was „Parodie“ist. Der Leser erhält einen Eindruck davon, dass natürlich auch Agamben seine „Allegorien des Lesens“ absolviert hat und tief initiiert wurde in die Weihen dekonstruktiver Lesetechnik. Verdammt, man glaubt das schon so lang vergangen, aber der Sound ist immer noch da – allein, man hebt nicht mehr ab. Weiter geht es mit dem „Wünschen“. Ein knapper Text, eine knappe These: „Der Messias kommt wegen unserer Wünsche.“ Ein knappes Urteil: Blödsinn. „Zauberei und Glück“ ist der nächste Text überschrieben, und es geht gleich ganz wunderbar los: „Walter Benjamin hat einmal gesagt…“ Oder: das Schillern des patinösen Nostalgismus. Etymologischer geht es dann wieder im nächsten Abschnitt zu: „Das ,spezielle’ Sein“. Spiegel werden durchreflektiert, was im italienischen Original leider viel besser als in der deutschen Übersetzung geht, weil im Deutschen „speziell“ sich nicht auf „Spiegel“ „reimt“. Die Essenz der Betrachtung fällt aber auch im Deutschen leicht ins Auge: „Das ,spezielle’ Sein teilt nur seine eigene Mitteilbarkeit mit. Aber diese wird von sich selbst getrennt und in einer unabhängigen Sphäre konstituiert. Das ,Spezielle’ verwandelt sich in Schauspiel. Das Schauspiel ist die Trennung vom allgemeinen Wesen, das heißt die Unmöglichkeit der Liebe und der Triumph der Eifersucht.“ Im nächsten Abschnitt versucht der Autor, etwas Licht in eine Formulierung von Beckett in Foucaults Vortrag zum Autor aus dem Jahr 1969 zu bringen. Vermutlich wird in diesem Text, „Der Autor als Geste“, am klarsten, dass man mit dem (post)strukturalistischen und dekonstruktiven Wortarsenal nicht mehr viel am Hut haben möchte. Agamben ist Manierist und merkt es nicht. Der vorletzte Text ist dem „Lob der Profanierung“ gewidmet. Keine Frage, dass hier ein schöner Bogen geschlagen wird zum skatologisch benetzten Intro des Eingangsstücks. Schon Robert Musil hat darauf hingewiesen, dass es spannend sei, zu sehen, welche Folgen der schon damals zu konstatierende souveräne Umgang vor allem des weiblichen Krankenhauspersonals mit den menschlichen Exkrementen haben könne. Agamben nimmt diesen kotigen Ball gern auf: „Es geht… darum, die Defäkation archäologisch anzugehen als ein Feld polarer Spannungen zwischen Natur und Kultur, Privatem und Öffentlichem, Eigentümlichem und Gemeinsamem. Das heißt: einen neuen Gebrauch der Exkremente erlernen, wie es die Kinder auf ihre Weise versuchten, bevor die Repression und die Absonderung eingriffen. Die Formen dieses allgemeinen Gebrauchs können nur kollektiv erfunden werden.“ (Prima kann man sich diesbezüglich von Georg Groddeck inspirieren lassen, der seit fast hundert Jahren die eine und andere Leckerei parat hält.) Den Abschluss bilden „Die schönsten sechs Minuten der Filmgeschichte“. Diesen Text muss allerdings jeder selbst schreiben.

 

Dieter Wenk (05.05)

 

Giorgio Agamben, Profanierungen, Frankfurt 2005 (Suhrkamp), aus dem Italienischen von Marianne Schneider (Profanazioni, Roma 2005)

 

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