29. Mai 2005

Avantgarde revisited

 

Irgendwie war das wohl vorauszusehen. Wenn Michael Snow aufgefordert wird, eine DVD seines bekanntesten Werks, „Wavelength“, zu produzieren, damit man das gute Stück auch mal in Galerien und überhaupt außerhalb des strikten Kino-Kontexts zeigen könne, hätte man sich denken können, dass er eher das Verfahren abkürzt, als dem Variantendogma und der Anhangspflicht von Sub-, Prä-, Post- oder Paratexten nachzukommen. Die ursprüngliche, 1966 entstandene und im Mai 1967 zum ersten Mal gezeigte Fassung ist jetzt unter dem Titel WVLNT („Wavelength for those who don’t have the time“) auf ein exaktes Drittel zusammengeschnurrt, was einfach daran liegt, dass Snow den Film in drei gleiche Teile geteilt und diese dann übereinander gelegt hat. Die eine und einzige Kameraeinstellung hat somit wieder etwas Schnitt bekommen. Es bewegt sich etwas zwischen den Layern, was immerhin eine Welle mehr bedeutet.

 

Ansonsten ist alles gleich geblieben. Aber kann man das wirklich sagen? Sicher, da ist immer noch dieses Zimmer, die Frau, die man leicht aufgrund ihrer Frisur und ihres Kleids in den 60er verortet, die Beatles scheppern ihr „Strawberry Fields Forever“, ein gelber Stuhl kommt näher, von einer gegenüberliegenden Häuserwand wuchten schwere Lettern ins Bild, und da ist dieses Bild, auf dem Wellen zu sehen sind, und das alles wird begleitet nicht von einem Off-Kommentar, sondern von einem nervenden Ton, dessen Höhe während der ganzen Zeit gleich bleibt. Und doch ist durch die Übereinanderlagerung alles anders. Man glaubt sich in einer Welt von Spiegeln, die den Weg zum Gespiegelten unterbrochen haben. Der Zugang zum wirklichen Raum scheint ausgehebelt. Dafür glaubt man mit mehreren Ebenen von Spiegelwelten zu tun zu haben, die den Schwerpunkt wechseln und dadurch nur umso mehr zeigen, dass der Betrachter aus dieser Höhlenwelt à la Plato nicht herauskommt. Und der Betrachter hat ja tatsächlich nichts in der Hand, um an dieser Situation etwas zu ändern, kein Knopf oder Rad erlaubt ihm die Verschiebung der Wellenlänge, auf die hier optisch-akustisch abgestellt ist.

 

Der Raum lädt nicht ein, um in ihm Platz zu nehmen, und sei es nur imaginär, aber das ist ja schon alles im Kino. Der Voyeur findet sich abgestuft zum Betrachter, er nimmt zwangsweise Teil an einer Reduktion, die man aus der Philosophie von Husserl kennt, der mit seiner transzendentalen Tuberkulose eine Schwundform des cogitierenden Subjekts erreichen wollte, um als nicht mehr umzustoßendem Fundament mit diesem wieder alles aufzubauen, Descartes revisited. Wenn man das heute liest, merkt man den Krampf, der dahintersteckt („Cartesianische Meditationen“). Letzte Stufe der Ursprungsphilosophie. Davon ist man bei Michael Snow weit entfernt. Gerade diese Kurzfassung führt noch einmal das Spielerische vor, das als Potential im Kino steckt. WVLNT wirkt wie ein Trichter, in den man alles mögliche reinstecken kann (Bilder, Schatten, Stimmen, Töne, Musikfetzen, nicht zu vergessen: sich selbst als ,ganzes’ Produkt, die Ur-Wellenlänge, die sich selbst recycled und doch nicht selbst bestimmen kann, was am Ende dabei herauskommt, denn das muss der Zuschauer sehen und hören); wenn Avantgarde sich so verwertet, ist das ein Anlass, den DVD-Spieler anzuwerfen.

 

Dieter Wenk (05.05)

 

Michael Snow, WVLNT („Wavelength for those who don’t have the time“), Kanada 2003, 15 Minuten