28. Mai 2005

Absturz in die Wirklichkeit

 

Mystery-Thriller besetzen die Zone des Unterhaltungssektors, in der gezeigt werden kann, dass die Beschäftigung mit dunklen Vergangenheiten nicht dazu da ist, ein schulisches Erziehungsprogramm zu meißeln. Die filmischen Helden, die hier mit vergangenen Zeiten zu tun bekommen, genießen ein singuläres Abenteuer, aus dem andere nicht schlau werden müssen. Für den TV-Produzenten Gunnar sieht das natürlich erst einmal anders aus, der Wochenendausflug, auf den er seine vier zukünftigen jungen Moderatoren seiner Reality-Show mitnimmt, stellt eigentlich nichts anderes dar als ein letzter Test eines in diesem Film allerdings nicht gezeigten Auswahlverfahrens, dem sich die vier jungen Leute, zwei Männer, zwei Frauen, unterzogen haben. Gunnar geht von der klugen These aus, dass ein Moderator immer einen Schritt voraus sein muss, aber wer in den Wald geht, weiß nicht, ob dort nicht gerade ein Ei ausgebrütet wird, dessen Platzen nicht unvorhersehbare Folgen nach sich zieht.

 

Die vier Tage in einem Blockhaus in den norwegischen Wäldern sollen möglichst technikfrei und naturnah erlebt werden, sprich: keine Handys, keine Zigaretten, kein Alkohol. Erlaubt ist dagegen Licht und ein Generator, der bei einbrechender Dunkelheit für klare Sicht sorgt. Lasse und Per, die beiden Jungs, entdecken auf einem Streifzug ein Zelt an einem kleinen See. Es scheint bewohnt zu sein, doch die Milchtüte, die die beiden entdecken, trägt ein Verfallsdatum, das einen Verzehr nicht mehr empfiehlt. Im Blockhaus liegen deutsche Zeitschriften aus dem zweiten Weltkrieg rum. Gunnar erklärt, dass in dem See ein deutscher Flieger abgestürzt sei. Etwas später ziehen die drei Männer eine weibliche Leiche ans Ufer. Der See nimmt sie aber wieder zurück. Natürlich erschrecken sich die vier untereinander auch ganz tüchtig (was der Zuschauer recht gelassen registriert), aber die Tote bringt alle in eine gewisse Alarmbereitschaft, in die auch die Mädchen versetzt werden, die etwas später von der Toten hören. Obwohl Gunnar den vier Selbsttestern den See verbietet, gehen sie immer wieder hin, Lasse (gespielt vom Regisseur Joner) hat Zigaretten im Zelt entdeckt, als er seiner Sucht nachgibt, wird ihm das fast zum Verhängnis. Der Produzent ist ein strenger Mensch, der Abweichungen vom Regelwerk konsequent ahndet. Als Per sich weigert, einen Scheißjob auszuführen, wird er am Boden gefesselt, als ob man ihn wie den armen Damiens zerreißen wollte. Als die anderen von ihrem Ausflug zurückkommen, ist Lasse weg, der zwischendurch ein bisschen von den Waldameisen gequält wurde. Ist Gunnar ein Sadist? Fährt er ein Programm, von dem die vier jungen Leute keine Ahnung haben. Warum fällt Gunnar diesen blöden Baum? Wird er am Ende selbst zum Opfer eines Regieeinfalls, der von außen kommt und die ganze Sache sprengt?

 

Die zweite Hälfte des Films spielt natürlich vor allem Nachts, das erhöht die Spannung. Lasse und Sara finden schließlich Per. Er lehnt an einem Baum am See. Aber er ist tot. Die beiden bringen den Toten zurück zur Hütte, in der sich mittlerweile die fußverstauchte Elin verbarrikadiert hat. Dann geht’s noch mal zurück in den Wald und an den See, denn dort wartet die Auflösung. Aber zunächst gibt es noch zwei Tote. Gunnar fällt im heldenhaften Kampf gegen das Waldmonster, das sich als deutscher Tourist entpuppt, der ein bisschen crazy geworden ist. Man findet Fotos, eine Geschichte lässt sich rekonstruieren, zwei Deutsche, ein Mann und eine Frau (die Wasserleiche) brachen auf, um den Flieger im See zu bergen. Dabei kam wohl die Frau um, worauf der Mann wahnsinnig wurde. Ganz zum Schluss darf man sich ein Foto noch einmal genauer ansehen. Man fühlt sich an Laura Palmer erinnert, in deren Augen sich das Motorrad von James spiegelt. Hinter dem deutschen Paar, in einem Blockhaus, sieht man das Gesicht eines Mannes, und damit man als Zuschauer nicht so viel denken muss, wird einem die Situation, in der man das Gesicht schon mal sah, noch mal reingeschnitten, wie überhaupt die Megaevents dieses Films, schließlich hat man jetzt wirklich schon die Show gesehen, die man für andere, natürlich in entspannterem Rahmen, reservieren wollte.

Es ist schön, dass deutsche Vergangenheiten nicht nur fürs Schulbuch taugen.

 

Dieter Wenk (05.05)

 

Kristoffer Joner, Die Tote am See, Norwegen 2003 (keine Chandler-Verfilmung)