Die schuldige Frau
Auch wenn der eindeutige Titel nicht schon alles sagen würde; von der ersten Einstellung an, die den Mann mit dem irreführend komplexen Namen Christopher Emmanuel Balestrero zeigt, ist klar, dass Manny, wie ihn seine Frau immer schon herzt, oder Chris, wie ihn später die Inspektoren zutreffend schlicht nennen werden, keiner Fliege was zuleide getan haben kann. Und doch steht der im New Yorker „Stork Club“ spielende Kontrabassist Balestrero (Henry Fonda) bald vor Gericht, wo er wegen mehrerer Überfälle, bewaffneten Raubs und unerlaubten Waffenbesitzes angeklagt ist. Dabei wollte er doch nur ein Darlehen auf die Versicherungspolice seiner Frau (Vera Miles) aufnehmen, weil diese wegen Zahnschmerzes im Bett lag und sich einen Kopf machte, wie der finanzschwache Haushalt die stolz zu werden versprechende Arztrechnung begleichen könne.
In diesem sentimentalen Einfühlungskrimi setzt Hitchcock alles auf Gefühlsdokumentation. Gleich zu Beginn versichert der Meister höchst persönlich, dass der Zuschauer eine wahre Begebenheit vorgeführt bekommt. Einen Fall tragischen Justizirrtums. Wer mag, darf auch an Kafkas ersten Satz des „Prozesses“ denken. Christopher Emmanuel Balestrero wird also, obwohl er nichts getan hat, von der Polizei festgenommen und in Untersuchungshaft gesteckt, weil einige angestellte Damen der Versicherung, bei der Chris wegen der Beleihung der Police vorstellig wird, ihn für einen anderen halten, der die Damen vor einiger Zeit überfallen hat. Rose, Chris’ Frau, erlebt zum ersten Mal in ihrem Leben, dass ihr Mann nicht pünktlich nach Hause kommt. Und dann bekommt sie auch noch einen Anruf von der Polizei, dass ihr Mann vermutlich Geld gestohlen hat.
Die Reaktionen der Frau bleiben aber zunächst im Hintergrund. Gezeigt wird vor allem, wie tapfer, bei aller Verständnis- und Hilfslosigkeit, Chris sich benimmt. Man kommt einen kleinen Einblick in die Mühlen der Justiz. Wer da einmal reingerät, kommt so schnell nicht wieder raus. Verwandte zahlen glücklicherweise die horrende Summe von über 7000 $ Kaution, die Chris und seine Frau nicht hatten aufbringen können. Jetzt machen sich die beiden, aufgefordert von einem sympathischen Rechtsanwalt, auf die Suche nach einem Alibi. Hier lernt der Zuschauer, dass Kartenspieler offensichtlich nicht sehr lange leben, beide mögliche Zeugen, die Chris’ Abwesenheit vom Tatort hätten bezeugen können, sind tot. Und dann sieht man diese Frau, Rose, wie sie plötzlich nicht mehr reagiert. Sie sitzt stumm an der Seite ihres Mannes und starrt ins Nirgendwo. Ein erstes Zeugnis geistiger Verwirrung gab sie bereits zum Besten, als sie ein wenig irr über die geplatzte Suche nach dem Alibi lachte. Die gute Frau und Mutter zweier rührender Jungs steckt das alles nicht weg. Chris bringt sie in eine Anstalt. Was ihr fehlt? Sie fühlt sich für alles schuldig, was ihrem Mann angetan wurde und noch einiges mehr.
Der Justizirrtum hat da an etwas gerührt, was vermutlich auch durch andere Härten hätte an die Oberfläche kommen können, was aber ein weiteres, dem Gang der Dinge folgendes Leben schön hat verschlossen halten können. Während die Frau also einen MacGuffin am Hals hat, kämpft Chris nun an zwei Fronten. Anklage und Partnerverlust. Der anschließende Prozess, der sich im Kleinklein zu verlieren droht, wird neu aufgerollt. Ein Besuch bei der Gattin zeigt, dass hier erst mal nicht viel zu hoffen ist. Unverhofft kommt die Wende. Der wahre Täter, der offensichtlich nicht Zeitung las, ihm also wohl entgangen war, dass man „ihn“ quasi schon geschnappt hat, schlägt erneut auf seinem Feld zu. Jetzt wird der richtige gefasst, die kurzsichtigen Angestellten von der Versicherung krebsen ziemlich verschämt durch die Polizeiflure, als sie Chris erkennen, und Chris ist ein freier Mann. Der richtige Täter sieht Chris in der Tat ähnlich, aber er hat halt diese Täterfresse, von der man niemals annehmen würde, dass Chris sie sich auch nur rein spielerisch antrainieren könnte. Ein braver Bürger sieht immer aus wie ein braver Bürger, da gibt es nichts zu rütteln.
Bei den Frauen ist das schon anders. Wer kann schon sagen, was beim Übertritt in die Wahnwelt genau passiert? Aber irgendwie nimmt man diesen Change Rose nicht ab. Hier herrscht die Maske und die platte Dokumentation ohne Hintergrundgewühle. Und da der Krimi das nicht auch noch zeigen kann, gibt es im Abspann die frohe Botschaft, dass Rose nach zwei Jahren unverschuldeten Martyriums wieder auf freien Fuß kam. Und zwar komplett geheilt. Die Selbsttatorte sind halt doch immer noch ein anderes Kaliber.
Dieter Wenk (04.05)
Alfred Hitchcock, Der falsche Mann, USA 1956 (The wrong man)