29. April 2005

Lost Homebase

 

„Das Beste ist überall die Stimmung.“ So was muss sich der Neoromantiker Lynch nicht zweimal vom Erzromantiker Novalis sagen lassen. Fragt sich nur, was für eine. Schade, dass der deutsche Bergwerkstechniker keine Musik komponiert hat. Klänge zur Blauen Blume. Und wenn die Natur ein wenn auch noch weitgehend unbekanntes Alphabet haben sollte, an dem sich die Lehrlinge zu Sais die Zähne ausbeißen, so birgt sie sicher auch Partituren, von denen man noch nichts weiß. Man muss nur zu dechiffrieren wissen. Ein bisschen wie am lebenden Objekt Special Agent Chester Desmond (Chris Isaak), der seinem Gehilfen Sam Stanley (Kiefer Sutherland) vorführt, was es heißt, Frauen zu lesen, anstatt sie nur für ziemlich gaga zu halten. Der Fall der blauen Rose also. Teresa Banks, mit der die unschöne Sache mit dem Buchstabengefrickel unter schmutzigen Fingernägeln anfängt. Etwas später sieht man mit den Augen Desmonds, der bald unerklärlich und für immer verschwinden wird, auf dem von Harry Dean Stanton beaufsichtigten Wohnwagenareal einen ebensolchen Wagen auf eine Art, wie früher vielleicht Indianer zum ersten Mal einem Pferd begegnet sein mögen: etwas ganz und gar Übles, aber wie göttlich dabei.

 

Es sind diese singulären Objekte in Lynchs beweglichem Atlas, die zugleich bannen und im Kopf des Betrachters unsichtbare Sicherungsseile in alle Richtungen auszuwerfen scheinen, denn Explikatoren und Hermeneutiker wie Desmond sind eher rar gesät. Niemand kann uns mit Bestimmtheit sagen, was der Schimmel im Hause Palmer zu suchen hat. Anderes wiederum geht unmittelbar ein, gerade weil es auch so lustig ist wie Laura Palmers (Sheryl Lee) Zähmung von Bobby Briggs (Dana Ashbrook), als der sich beschwert, dass sie ihn versetzt habe. Aber Laura kann nirgends bleiben. Sie, die von sich sagt, „ich will doch nur nach Haus“, womit sie sich als Novalis’sche Weggefährtin zu erkennen gibt, bleibt das eigene Haus verwehrt, das Heim, weil es da ziemlich unheimlich zugeht. Tochter eines Mutter-Zombies und eines Vater-Werwolfs im Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Gewand. Grace Zabriskie ist der lebende (also tote) Beweis für die fertige Mutter. Der verrückte Vater Leland (Ray Wise) profitiert von den Fieberfantasien der Tochter, um beim nächtlichen Sukkubat als langhaariger Bob (Frank Silva) durchzugehen. Kein Wunder, dass es Laura nach draußen treibt, erwünschtes Inkarnat, natürlich nur gegen Drogenbezahlung, für die nach jungem Fleisch verlangenden hungernden Seelen einer ansonsten unterbeschäftigten Libido. Zur monotonen, aber gerade deswegen sehr obsessiven Schrabbelmusik in den nur für Eingeweihte betretbaren Zonen grenznaher kanadischer Kaschemmen kommen für die Zeit orgiastischen Vergnügens durchaus heimische Gefühle auf, wenn man zum Schmusen den Partner oder die Flasche wechselt und eigentlich ganz nett zu viert auf dem Sofa rumlümmelt. So hat man sich die aufregende Jugend eigentlich immer vorgestellt. Sex & Drugs & Rock’n’Roll.

 

Aber da kann man leider nicht immer bleiben. Schule, Eltern, und die Putzfrau will vielleicht auch mal die Kippen wegräumen. Lauras Freundin Donna Hayward (anders als in der Serie: Moira Kelly) hat möglicherweise gerade noch einmal die Kurve gekriegt, weil sie von der Orgie aufgrund Drogen nicht so viel mitbekommen hat. Aber für Laura gibt es keinen Weg zurück. Pendlerin zwischen dem Schlimmen. Und sie weiß es. Ihr Lachen ganz am Ende, in diesem seltsamen jenseitigen Lokal, wo auch der Zwerg seine lustigen Sprüchlein zum Besten gibt, ist ihre ganz eigene unsentimentale und ergreifende Bejahung für all das, was da noch kommen mag. Es ist nicht mehr viel. Aber sie war bedient.

 

In schöner romantischer Verkehrung sollte man sich jetzt noch einmal die Folgen anschauen, die genau das vorführen, was jetzt kommt, die man aber schon sah, bevor man wusste, wie es eigentlich war. Dieser Film ist beides: nachgeschobene Ouvertüre und einführendes Konzentrat.

 

Dieter Wenk (04.05)

 

David Lynch: Twin Peaks. Der Film („Twin Peaks – Fire Walk With Me“), USA 1992