Lokalkolorit
„LE VISITEUR PARFAIT“ (Der Perfekte Besucher)
Eine Ausstellung von Joëlle Tuerlinckx -
interpretiert von Willem Oorebeek (bis 8. Mai 2005)
In Münster ist zurzeit das Ergebnis der zweiten Einladung zur Zusammenarbeit von Joëlle Tuerlinckx an Willem Oorebeek zu sehen. Die Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst befindet sich in einem ehemaligen Speicher am Industriehafen in Münster. Der Besucher wird im Fahrstuhl unmittelbar in den Ausstellungsraum hineingefahren, der das gesamte obere Stockwerk einnimmt und damit eine weite Aussicht auf die Stadt und den Hafen eröffnet. Auf den ersten Blick erstreckt sich dieser Raum gänzlich leer von einer Fensterfront zur anderen, bis einige Kreise und Markierungen auf dem Boden sichtbar werden. Die geometrischen Formen scheinen von einer vergangenen Aktion der beiden Künstler zu berichten: Sie teilen die Halle in subjektive Zonen ein und stellen eine begehbare Struktur zur Verfügung.
Oorebeek und Tuerlinckx begegnen der Orientierungslosigkeit in einer unvertrauten Umgebung mit genauer Beobachtung. In einer Reihe von Gesprächen, festgehalten von einem Aufnahmegerät, wurde die räumliche Situation sprachlich abgetastet: Die Architektur des Hafenspeichers und seiner Nachbarschaft, Ausblicke und Innenraum, Schriftzüge und Fundstücke werden beschrieben und kommentiert.
In fünf Fenstern der Ausstellungshalle sind kleine Lautsprecher installiert, über die der Besucher die deutsch-französischen Gespräche verfolgen kann. Der Wechsel zwischen den Sprachen erzeugt häufig humoristische Wendungen, die auch die unspektakuläre Erscheinung einer mittelgroßen deutschen Stadt auf ironische Weise aufnehmen. Es entstehen poetische, auch lautlose Momente des Dialogs, während der eigene Blick beginnt, sich in der Stadtlandschaft zurecht zu finden.
Miteinander zu sprechen wird hier zu einem Vorgang, der bei höchster Konzentration dem Zufälligen möglichst viel Raum gibt. Die Transkription des gesprochenen Textes ist nachzulesen in den „Tagesblätter-Partituren No. 1-7, Montag bis Sonntag“, die am Eingang ausliegen.
Die Identität eines Ortes weniger zu recherchieren als selbst zu konstruieren kommt in einem weiteren Akt der Aneignung zum Ausdruck: Das kleine Büro ist zum Ausstellungsraum umfunktioniert worden. Eine große Holzplatte dient als Präsentationsfläche für eine Reihe von Gegenständen, Büchern, Bildern und aufgeklebten Worten („Lokalkolorit“, „Gegenstände nicht berühren“), die im Zusammenhang mit Münster stehen oder auf den künstlerischen Kontext Oorebeeks und Tuerlinckx’ verweisen, ähnlich dem Verfahren der Umcodierung von Material wie es im Badischen Kunstverein Karlsruhe zu sehen war. In Münster sind die ursprünglichen Büromöbel unter den Tisch geschoben worden, ihre Funktion ist vorübergehend aufgehoben.
Karolin Meunier