15. April 2005

Ausstellung im Schaufenster, Hamburger Hochstraße 24, St. Pauli, bis 14.4.05

„Ich erlerne das da: zwei mal drei Bademeister plus vier Bürgermeister geteilt durch meinen Vater ergeben zehn silberne Esslöffel. Klauen möchte ich mal einen silbernen Esslöffel. Von Beruf? Nun? Löffelklauer. Besonders gern: silberne.“ (Günter Bruno Fuchs: „Der Abendkönig“)

 

Beim Betrachten der Fotografien im Schaufenster erlernt man das: drei mal zwei Heilige plus vier aufgegrabene Fundamente geteilt durch Alexander Rischer ergeben zehn Gedanken zur Lage der Andichtung.

 

1. Kunsthistorische Baudenkmäler werden restauriert, nachdrücklich und für alle Zeit, nämlich bis zur nächsten Restaurierung, in ihrer Bedeutung zum Wohle der Nation festgeschrieben.

 

2. Das heißt, für den Fall des Meißener Doms, dass die Gotik auch gerne mal gotischer wird, als sie es sich je träumen ließ. Hier waltet doppeltürmige Pseudovollendung. Hier wurde beim Restaurieren und Neubauen im Geiste nachkölnischer Turmbaufantasien also einem Gedanken auf die Sprünge geholfen, der für die Verblichenen vielleicht so klar nicht war. Aber jetzt haben wir schließlich Kulturindustrie und Reproduzierbarkeit und wissen es einfach. So wird mit zärtlichem Würgegriff ein Artefakt auf ein besinnliches Denkmal zugerichtet.

 

3. Nur nebenbei, restauratorische Skandale gibt es in großer Zahl. Die schönste Geschichte ist die der komplett ausgemalten Marienkirche zu Lübeck, deren Bilder sehr schön, aber sehr neu waren. Entlarvt hat sich der produktive Restaurator dieser vorher nicht vorhandenen Bilder nur, weil er einen Truthahn malte, der zur Zeit, auf die er die Malereien datierte, in der Alten Welt noch nie gesehen wurde. (Der arme Mann ging dafür in den Knast, und die Malerei ist weiß übermalt, in 300 Jahren kann man wieder mal nachschauen und eine Entdeckung feiern. Das wird toll.)

 

4. Womit ich beim vierten Punkt anlange. Man sieht etwas, was man vorher nicht sah. Wenn steinerne Heilige von ihren angestammten Plätzen herabgeholt werden, um ihnen mal systematisch hinter die bemoosten Ohren zu schauen, blicken die dann doch etwas beleidigt und verzweifelt drein. Sie bergen ihre Insignien nun schützend in Händen und sind gewillt, sich scheu abzuwenden von solch unheiliger Zudringlichkeit. Das Lineal, welches man ihnen zur Seite stellt, macht sie nicht glücklicher, das Zentimeterverfahren göttlicher Heilsgewissheit ist ihnen neu. Und sie halten das für ein Missverständnis.

 

5. Missverständnisse gibt es auch beim Aufgraben von Fundamenten, Schliemann hat’s vorgeführt und die Schichttorte der Besiedelung erst richtig berühmt gemacht. Wenn man sich bei Ausgrabungen wie im Schlaraffenland in die Tiefe durchfrisst, kommt man irgendwann zum Mittelpunkt der Erde und kann da dann ein Piccolöchen mit Jules Verne trinken zu Ehren der Fantasie.

 

6. Aufgegrabene Fundamente sind etwas für Analytiker, man will es eigentlich nicht so genau wissen. Also Graben ist ganz interessant, aber nicht weil man einen alten Geist treffen will, sondern weil man ein neues verständliches Labyrinth eingraben will, in dem man seinen eigenen Geist wohnen lassen kann. Dunkel und schattig liegen die Mauern auf den Fotos in der Erde, ideal, um einen Geist erscheinen zu lassen.

 

7. Und wozu gibt es schließlich Geister? Um sie an geeigneten Orten einfallen zu lassen, wenn einem selbst nichts einfällt. „Und die Gräber taten sich auf, und es stunden auf die Gebeine der Heiligen und erschienen vielen.“ Ja, ja, der Fluch des Pharao. Ob jemand noch eine Leiche im Keller hat, erfährt man nicht unbedingt, wenn man in den Keller geht. Eine Beschwörung tut’s auch, man muss nur den Zauberspruch wissen.

 

8. Was ist nun los mit den Geistern der Heiligen, wenn sie nicht ihres luftigen Amtes walten, sondern traurig am Boden stehen. Sehen sie so nicht ein bisschen aus, wie Haldol-Patienten, die im Wartezimmer einer Artztpraxis auf ruinöse Psychopharmaka warten? Kann man sagen, dass hier mit restauratorischer Fürsorge Geister medikamentiert wurden, um sie ruhig zu stellen? Klappt das? Man kann gewiss sagen, je schärfer man hinsieht, umso grotesker bricht das Geisterhafte in die Beobachtung. Mystische Begebenheiten sind der natürliche Kobold ehrwürdiger Wissenschaften.

 

9. Bei den Fotos, die Alexander Rischer aus einem Konvolut alter Glasnegative auswählte und gruppierte, kann man hingucken, bis etwas anderes zurückschaut. Ja! Sehr Gut!

 

10. Silberne Löffel als Ergebnis sind nichts dagegen.

 

(Nora Sdun)