25. März 2005

Ein Finish

 

Als Finish bezeichne ich jetzt mal das letzte Drübergehen über eine Sache, die einen schon lange beschäftigt. Es kann auch eine CD entstehen bei einem Finish.

 

„Finnish Snow-walks“ ist eine CD mit 12 Stücken. Sie heißt mit vollem Namen Finnish Snow-walks and Dances | Suomalaisia Lumireissujaja-tansseja

A Collection of Finnish Snow Music | Lumimusikki Kokoelma

 

Auf der CD sind Samples von Schneespaziergängen und in Finnland gemachte Feldaufnahmen zu Stücken gemixt, dazu kommen Instrumentalaufnahmen und Gesangsstücke. Es ist ein Konzeptalbum, realisiert von Gabi Schaffner. Sie erklärt dazu, dass alle Stücke sich von der Idee und den poetischen Implikationen der „finnischen Schneemusik“ ableiten und jedes Musikstück in einer bestimmten Region Finnlands verortet ist und einen sehr spezifischen Habitus oder eine musikalische Tradition dokumentiert.

 

Jede Sprache setzt dem, der sie spricht, bestimmte Grenzen des Denkens, das meinte jedenfalls Humboldt. Der Ausdruck des Gedankens ist also ein anderer, wenn man versucht, es finnisch oder deutsch oder sonst wie zu sagen. Man kann es auch tanzen.

 

Man sollte viel öfter eine ethnographische Unternehmung starten, nicht um etwas über Fremde, sondern um etwas über sich selbst herauszufinden.

 

Think global, act in the kitchen. Das gilt auch fürs Produzieren von Musik. Minimalistische und musikalische Scherze sind in der eigenen Küche so einfach, man muss bloß einen abgeknabberten Knochen zum Fenster rausschmeißen und seinen Flug in Gedanken begleiten. Die „Residents“ haben in genau dieser Weise ein Konzeptalbum namens „Eskimo“ gemacht. Man muss den Musikern trauen, sicher sein kann man sich nicht.

 

Gabi Schaffner war tatsächlich in Finnland. Sie beäugt den Finnlandboom mit Kaurismäki und ähnlich nett quadratisch Melancholischem mehr, als dass sie ihn affirmiert. Sie hat etwas anderes zu sagen, sie singt etwas aus Finnland aus ihrem Kopf.

 

Die Feldaufnahmen, die man in einem Kopf macht, wirken umgekehrt nicht auf das, sondern aus dem limbischen System, undercover im besten Sinne, ungeschützt, aber bedeckt durch sich selbst. Eine ethnographische Unternehmung ist selten mehr als Feldforschung im eigenen Suppentopf, das gibt bloß selten jemand zu. Es ist das Anthropologenproblem mit den Beobachtungsobjekten, die dazu übergegangen sind, dem Forscher nur noch das zu erzählen, was der vorher da gewesene Forscher ihnen über ihre höchst interessante Kultur unterstellte. Zack, weg ist der ganze schöne Urlaubs- und Exotik-Flair. Der wunderbare fabelhafte Authentizitätseskapismus, da hat man sich peinlich an seinen eigenen Projektionen aufgespießt.

 

Die CD „Finnish Snow-walks and Dances“ hat sich von solchen Verstrickungen abgekoppelt. Die beteiligten Musiker arbeiten undercover und beforschen sich selbst. Tanzen ist wie Spazieren gehen, so etwas wie denken mit den Beinen. Die Rhythmisierung der Bewegung erzeugt die Gedanken. Da ist etwas erfunden worden und keck in ethnologische Zusammenhänge gebracht. Und es ist mindestens dreimal verschlüsselt. Es ist eine poetische Welt in einer Audiowelt. Ein finnischer Tanz in deutschen Schädeln. Eine Projektion auf einen Projektor. Es ist eine Autorschaft in Schneeverwehungen. Kein Mensch weiß, ob das Finnen sind, die aufgelistet werden, ob das Finnen im Geist sind. Decknamen sind eine gute Sache. Aber man erkennt Personen stets an dem Geruch, nicht an dem Namen. Jedenfalls ist das so bei „Orlando“ von Virginia Woolf, da kommen die Hunde auf den Wildfremden zugesprungen und begrüßen ihn als alten Herrn. Namen also sehr löchrige Tarnkappen.

 

Nora Sdun

 

Gabi Schaffner: Finnish Snow-walks and Dances. Original Recordings of Modern and Traditional Finnish Rituals and Folk Tunes

 

Kontakt: renmaid(at)gmx.net

 

Näheres zu raw audio: www.gruenrekorder.de