25. März 2005

160 Künstler

 

„Greater New York 2005“ im P.S 1

 

Aus einer Liste von mehr als 2000 Künstlern haben Claus Biesenbach und eine vielköpfige Jury 160 Positionen ausgewählt, die nun das ganze Gebäude des P.S1 vom dritten Stockwerk bis in den Keller bespielen. Alle Arbeiten sind im Laufe der letzten fünf Jahre entstanden, Es wird in allen Medien und Disziplinen gearbeitet und das Zusammenspiel der verschiedenen Kunst funktioniert in den einzelnen Ausstellungsräumen meist recht gut. Nebosja Seric Shoba zeigt „let there be light“, einen computeranimierten Loop, die wandfüllende Projektion eines einsam im All rotierenden, verdunkelten Planeten, dessen einzige luziden Landmarken das US-Amerikanische Hoheitsgebiet bilden. Im gleichen Raum auch Pawel Wojtasiks „dark sun squeeze“, ein Video, das die schrittweise Umwandlung von Kloake in etwas Brauchbareres zeigt, den Klärungsprozess. Beide Arbeiten überzeugen in ihrer formalen Stringenz.

 

„The Atlas Group“ in Zusammenarbeit mit dem Fotojournalisten Walid Raad untersucht sämtliche Autobombenattentate, die während des Libanonkriegs (1975–91) verübt wurden. Das einzige, weitgehend unversehrte, Teil eines solchen Anschlags ist der Motorblock, der dann in einem Radius von einigen 100 Metern auf Häuserdächer und Innenhöfe niedergeht. 200 Fotodokumente mit Ortsangabe und Zeitpunkt des „Fallouts“ sind zusammengekommen. Die Verdrängung täglicher Katastrophen von „Enduring Freedom“ werden beschämend sichtbar. Die Unzufriedenheit mit der politischen Führung und der amerikanischen Medienindustrie wird in dieser Arbeit deutlich, ohne dabei die verwirrende Gesamtsituation zugunsten eines politisch korrekten Statements zu vernachlässigen.

 

Kritische Ansätze finden ihren Weg auch in die oftmals als dekorativ und affirmativ gescholtene Malerei. Die Verletzung von Grenzen und Körpern einer aus den Fugen geratenen Welt kann man auch in den Bildern von Kamrooz Aram sehen. Kometen und Lichtblitze bedrohen eine süßlich vegetabile Idylle. Trenton Duerksen rettet seinen postnuklearen Restzoo in eine weiß blendende Arche, einer Plastik bescheidenen Formats. Daniel Arsham hat die künstlerisch immer virulenten Architekturtopoi in die schattige Welt der Stalaktiten und Stalagmiten verlegt. Und die zart babylonische Hochzeitstorte aus illuminiertem Transparentpapier von Kirsten Hassefeld möchte so was wie Zukunft auch nur noch mit Fragezeichen sehen. Phil Frost erarbeitet sich eine Stars-and-Stripes-Paraphrase, indem er Rabattmarken und Konfektionsmuster collagiert und mit malerischen Ornament versieht. John O’Connor bringt sämtliche amerikanischen Kriege und andere Katastrophen in einen wabernden Bleistift-Buntstiftstrichcode. Mathilde ter Heijne’s Video zeigt Frauen als „suicide bombs“, Lisa Raskins diesbezügliche Assoziation findet Platz in einem kleinen Koffer, „transportable cable box“.

 

Mag die westliche Welt sich fürchten vor dem, was da noch kommt an Clash, Cash and Collapse, einige Künstler in dieser Austellung haben es schon vorgezittert. Die Ausstellung im P.S1 ist aber keine rein soziopolitische Veranstaltung. Es gibt hier auch die wunderbaren, atomisierten, Briefmarken-Collagen von Jonathan Herder, die technisch und formal brillanten Cutouts aus papierenen Einkaufstüten von Yuken Teruya, die Katzenallovers von Michelle Segre, das bedrückend belustigende „The Pit“ von Will Ryman.

 

New York ist nicht nur der Marktplatz für zeitgenössische Kunst, sondern auch immer noch ein Ort künstlerischer Produktion. Ein Kritiker der „New York Times“ warf den Kunsthochschulabsolventen vor, sie seien zu marktorientiert und angepasst. Das trifft auf viele sicherlich zu. Aber in einer Gesellschaft, deren Erfolgstugend darin besteht, Konkurrenten auszuschalten, den Markt zu bedienen und Geld und Connections zu akkumulieren, ist die Forderung nach coolen Innovatoren und authentischen Künstler doch reichlich paradox.

 

Der Kunstbetrieb hat zwar seine eigenen Regeln, unterliegt jedoch genauso ökonomischen Notwendigkeiten wie der Immobilien- oder Aktienmarkt und gönnt sich dabei wenig Sentimentalitäten. Im Fall von Greater New York 2005 haben natürlich die verschiedensten Interessengruppen ihre Lobbyisten am Start, und es wäre sicherlich interessant, einen Blick auf die Arbeiten der 1840 ausjurierten Künstler zu werfen, um ein wenig mehr über die Ausstellungspolitik im Allgemeinen zu erfahren. Nun muss man sich mit den verbliebenen 160 begnügen. Die Ansammlung interessanter Arbeiten macht einen Ausstellungsbesuch in jedem Fall lohnend.

 

Die Austellung läuft noch bis zum 26. September. Ein umfangreicher Katalog ist in Arbeit, und die komplette Künstlerliste und weitere Informationen kann man unter www.ps1.org abrufen.

 

Mathias Deutsch