17. März 2005

Literarische Ökonomie

 

Von Alchemie redet heute niemand mehr. Warum das so ist, erklärt Hans Christoph Binswanger, Professor für Volkswirtschaft, in seiner Studie „Geld und Magie“. Die Versuche zur Herstellung künstlichen Goldes wurden seiner Ansicht nach nicht deswegen aufgegeben, weil sie nichts taugten oder weil die moderne Atomphysik, wenn auch mit erheblichem Aufwand, heute in der Lage ist, Gold herzustellen, sondern weil sich die moderne Geldwirtschaft als so erfolgreich erwiesen hat, dass es des mühsamen Zusammenbrauens in dunklen Küchen nicht mehr bedarf.

 

Mit Magie hat das allerdings immer noch einiges zu tun, wie Binswanger anhand Goethes sozialökonomischen Subtextes im „Faust“ herausarbeitet. Goethe wendet sich in seinem Drama gegen eine verkürzte nationalökonomische Sichtweise, die davon ausgeht, Wertsteigerung gründe sich allein auf menschliche Arbeitsleistung. Vielmehr muss Goethe zufolge noch ein alchemistischer Trick hinzukommen, um eine wertlose Substanz in eine wertvolle zu verwandeln, also zum Beispiel in Papiergeld.

 

Goethe hatte sich in seiner Funktion als Geheimer Rat am Weimarer Hof intensiv mit ökonomischen Theorien, vor allem mit Adam Smith, beschäftigt und kam im Gegensatz zu dessen klassischer Nationalökonomie zu dem Schluss, dass es neben der Arbeitsleistung vor allem drei Grundelemente sind, die den Erfolg der modernen Wirtschaft ausmachen: die Papiergeldschöpfung (Kreditwesen), ein neues Eigentumsrecht (bezogen auf Natur und Kolonien) und die Nutzung mechanischer Energie (beispielsweise mithilfe der Dampfmaschine). Diese drei Elemente sind Goethe zufolge verantwortlich für die schon zu seinen Lebzeiten exorbitante Steigerung von Investition und Produktion in der Wirtschaft.

 

Binswanger ruft in „Geld und Magie“ eine interessante Entdeckung wieder ins Bewusstsein: die Alchemie in Goethes „Faust“. Der Wirtschaftsprozess lässt sich als Alchemie deuten, wenn eine echte Wertschöpfung möglich ist, die an keine Begrenzung gebunden ist. Der Autor zieht Querverbindungen zwischen der Experimentierfreudigkeit der Alchemisten und den zart anlaufenden Geldmärkten zu Goethes Zeit. In beiden Fällen wird etwas Neues kreiert, aus Ingredienzien wird ein neuer Stoff, im besten Fall Gold, aus Papier wird Papiergeld und noch mehr Geld.

 

Doch der gesuchte Stein der Weisen, der nach alchemistischer Lehre Gold, Gesundheit und ewiges Leben versprechen soll, ist bei diesen Experimenten, die die Alchemisten nun schon seit einiger Zeit den Ökonomen überlassen haben, bisher nicht herausgesprungen. Und Goethe beschreibt eben dies sehr scharfsichtig für seine Zeit. Die fantastischen virtuellen Wertsteigerungen sind denkbar, ohne tatsächliche Deckung der Papiergelder fällt man allerdings auch mal schnurstracks in den Abgrund der Realität. Das war schon das Problem der Alchemisten, die mit möglichst geringen Materialkosten ein sehr wertvolles Produkt herstellen wollten. Und das bleibt auch das Problem der Ökonomen. Sie wollen mit möglichst geringen Kosten möglichst große Gewinne erzielen.

 

Der Autor von „Geld und Magie“ ist bemüht, die Weitsichtigkeit und Skepsis Goethes bezüglich der modernen Ökonomie hervorzuheben, was ihm gelingt. Letztlich zeigt Binswanger aber, entgegen seiner eigenen Behauptung, dass es mit der Alchemie in der Wirtschaft doch nicht so weit her ist. Denn sobald soziale und ökologische Nebenkosten mitgerechnet werden, worum es dem Autor ausdrücklich geht, ist die wundersame Geldvermehrung nur eine mephistophelische Blendung und die Wirtschaft doch nur ein reines Nullsummenspiel.

 

Gustav Mechlenburg

 

Hans Christoph Binswanger: Geld und Magie, Murmann Verlag 2005, 220 Seiten, 19,90 € (Erstveröffentlichung 1985)

 

amazon