Halbkrass
Wolfi Bauers Erfolgsschocker auf Kampnagel gefriergetrocknet
Mit „Magic Afternoon“ gelang dem damals 27-jährigen Grazer Dramatiker Wolfgang Bauer der Durchbruch. Zunächst von 30 Verlagen und Bühnen abgelehnt, wurde das Stück 1968 in Hannover uraufgeführt. Ein Sensationserfolg. Kein Propagandatraktat, eine – auf den ersten Blick – hyperrealistische Milieustudie einer Bohemeszene. Zwei Paare, Charlie und Birgit, Joe und Monika. Studie ist eigentlich schon zu viel gesagt. Irgendwo in ihrem Zimmer scheint eine geheime Kamera gesteckt zu haben, und die Abschrift ist das Stück. Bauers späteres Stück „Das Massaker im Hotel Sacher“ spielt mit diesem Autorentrick. In der Regie von Angela Richter beginnt „Magic Afternoon“ allerdings wie Bauers Volksstück „Party for six“ aus dem Jahr 1965: Die Bühne ist dunkel, der Zuschauer hört, wie junge Leute in den Kulissen sprechen, schreien, rumalbern, aber es gibt nichts zu sehen. Die erste Minute dieser Inszenierung ist akustisch irrsinnig schnell. Dann geht das Licht an an diesem wunderbaren heißen Sommernachmittag. Nach einer weiteren Minute ist die Konversationslogik fest installiert: Ein Wort gibt das andere, aber das Wort führt zu nichts. Charlie und Birgit stehen in einem durchsichtigen Plastikhüttchen und schauen sich an, jeder sich selbst. Sie wissen nicht, was sie machen sollen, jetzt oder später am Abend. Neben der Hütte liegt ein riesiger Stapel an Büchern und vor allem Zeitschriften. Kulturmüll. Darin suhlen sich drei weitere Schauspieler, blödeln. Dann gibt es da noch einen Kasten, auf dem steht: Heideggers Trog. Das Dasein ist nämlich unheimlich „schiach“. Aber ohne Geld ist das Sein auch nicht recht anzapfbar, und so liegt im Trog auch nur Müll. Dann steht der Joe im Plastikhüttchen und grinst gewaltig. Aber zu lachen gibt’s nichts. Auch zu dritt fällt einem nichts ein. Stattdessen liegt die Monika nach einer plötzlichen Kampfsituation mit einer gebrochenen Nase laut schreiend auf dem Boden. Während Joe die Monika ins Spital bringt, gibt’s einen Spezial-Kulturexorzismus vom Duo Charlie-Birgit. Eine Art Bücherverbrennung im kleinen Kreis. Sehr lustig. Dann ist der Joe wieder da und bringt Hasch. Es wird fleißig geraucht. Nur die Birgit macht nicht mit. Zu Brian-Ferry-Klängen hüpfen sich Birgit und Joe an. Nach der dritten Begegnung liegt Joe tot am Boden. Das war’s. In der Regie von Angela Richter wird Bauers Stück zerlegt. Auf der Bühne ist immer alles zugleich zu sehen. Auch das, was nicht bei Bauer steht, so die Erfindung der fünften Figur oder der Heidegger-Trog. Die wenigen Aktionen der Figuren fährt Richter zusätzlich runter, man telefoniert ohne Telefon, man prügelt sich, ohne sich zu prügeln, nur die Zigaretten sind echt (Joints wiederum werden abstrakt geraucht). Die Steigerung der Gewalt bei Bauer am Ende des Stücks, wo Birgit dem Joe das Messer ins Herz rammt, ist bei Richter durch ein merkwürdig gestisches Angehen ersetzt. Will sagen, die jungen Leute heute sind noch nicht einmal zu einem Totschlag fähig? Angela Richter hat das Stück textlich gekürzt, aber es ist deshalb nicht kürzer geworden. Wer Bauers Stück liest, merkt, dass Richters zusätzliche Pausen überflüssig sind. Der Eindruck von Langeweile entsteht beim Reden, das macht das Stück ja gleichzeitig so charmant. Das Reden ist zugleich die Überwindung der Trägheit. Das ist der magische Mehrwert des österreichischen Sprechens, von dem auch Heidegger keine Ahnung hatte. „Magic Afternoon“ hängt bei Angela Richter des Öfteren leider durch. Der Darsteller des Charlie ist allerdings ziemlich klasse. Die Monika-Schauspielerin tanzt ganz nett und schaut sich noch mit gebrochenem Nasenbein so wunderbar selbst verliebt in den Spiegel. Der Pongo, die fünfte Kraft, ist ganz überflüssig. Auch die analen Beigaben am Anfang. Jonathan Meese als Bühnenbildner ist Jonathan Meese als Künstler, brachial, fatal, brutal. Ohne ihn wär’s allerdings genauso gut (oder eben nicht so gut) gegangen. Ein verhaltener Premierenapplaus, eine nicht richtig überzeugende Textumsetzung. Wolfgang Bauer dürfte es aber trotzdem mal wieder öfters sein.
Dieter Wenk
Magic Afternoon, Schauspiel von Wolfgang Bauer
Hamburg, Kampnagel: 28.1., 30.1., 2.2.-5.2., 20 Uhr (k1)
Düsseldorf, Forum Freies Theater: 17.3.-19.3.