8. März 2005

Plauder-Philosophie

 

„Du kannst dich frei entscheiden, unter der Bedingung, dass du die richtige Wahl triffst.“ Slavoj Zizek bezieht diese Aussage in seinem neuesten Buch nicht nur auf die von Bush nach dem 11. 9. geforderte Demarkationslinie zwischen Freund und Feind, sondern auch auf systemimmanente Ausschlüsse.

 

Zu Beginn liest sich Zizeks Buch wie eine Erweiterung des 2001 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ veröffentlichten gleichnamiges Artikels „Willkommen in der Wüste des Realen“. Das Zitat stammt aus dem Film „Matrix“. Als Keanu Reaves aus seinem Dornröschenschlaf erwacht, wird er von Morpheus mit eben diesen Worten begrüßt. Es wäre jedoch falsch, Zizek zu unterstellen, er würde den 11. 9. auf ein gescheitertes Erweckungserlebnis reduzieren – wenn auch eine gewisse Parallelität bei ihm nicht zu leugnen ist. Amerikas Reaktion wäre zumindest dann vergleichbar, wenn Keanu Reaves seinen Erwecker erschossen hätte.

 

Wir dürfen dem begehrten Objekt nicht zu nahe kommen, sonst wandelt sich die Faszination in Abscheu. Die libidinöse Besetzung der Ereignisse lässt die einstürzenden Türme als Hollywood-Reminiszenz erscheinen, als Eindringen der „phantasmatischen Bildschirmerscheinungen in unsere Realität“. Der Schein soll derart durchdrungen werden, dass das „Reale“ sich endlich als der „Effekt“ schlechthin zeigt und damit erträglich wird. Kommt es so, haben wir das „Durchqueren des Phantasmas“ (Lacan) bewältigt und uns mit der größten Angst identifiziert. Dieser ultimative Schein ist das „reale Ding“ und hilft dabei, den ursächlichen gesellschaftlichen Antagonismus auszublenden.

 

Die Frage ist, ob Amerika aus der Sphäre des Phantasmas heraustritt oder ob, um das System zu perfektionieren, einem Feind ein Gesicht gegeben wird und dessen schurkischer Stellvertreter so lange bedroht und angegriffen werden, bis er sich wehrt und als ersichtlich terroristischer Feind erkennbar wird. Der politische Akt wird so, Zizek zufolge, jedenfalls übergangen.

 

Die Stärke Zizeks liegt darin, Terror und Gewalt als Teil des Systems zu beschreiben und Distanzierungen zu Begriffen wie dem „Bösen“ vorzunehmen, die das System als letzten Versuch der Behauptung eines Absoluten oder Äußeren hervorbringt. Nichts wird bei ihm einer Natürlichkeit oder kulturellen Differenzen zugerechnet. Zizek spricht sich aus für den politischen Akt, der nicht nur die Eingabewerte, sondern die Rechenoperationen selbst ändert. Seine Ablehnung des „Kampfes der Kulturen“ führt er aber leider auf einen ebenso simplen Antagonismus zurück: den des Universalsignifikanten Kapital, seinen Terror und die darauf antwortenden Widerstände.

 

Von noch duldbaren Verallgemeinerungen, wie der Darstellung von Gewalt als Symptom der „Unterlassung, effektiv in die gesellschaftliche Krise einzugreifen“, bis zu höchst fragwürdigen historischen Deutungen, wie der, die Pogrome des Dritten Reiches wären Ergebnis des Scheiterns der proletarischen Revolutionen, serviert Zizek plaudernd etliche Ungereimtheiten am Fließband, in denen wohl möglichst viele Leser etwas ihnen Entsprechendes finden sollen. Am härtesten wurde er dafür bisher von Klaus Theweleit angegriffen, der Zizek als unkontrollierte „Plappermaschine“ diffamiert. Es ist allerdings nicht sicher, ob Zizek überhaupt etwas gegen den Vorwurf einzuwenden hätte. Zizek ist ein Fantast, ein Autor fiktionaler Texte. „Wir sollen die Realität nicht mit der Fiktion verwechseln.“

 

Hannes Loichinger

 

Slavoj Zizek: Willkommen in der Wüste des Realen, Passagen Verlag, 2004