1. März 2005

Metavirulenz

 

Noëlle Revaz sorgte vor zwei Jahren in der Literaturszene Frankreichs für Aufsehen, als Gallimard ihren Roman „Von wegen den Tieren“ in der prestigeträchtigen, nur eingeführten Autoren vorbehaltenen „série blanche“ veröffentlichte. Nun liegt der Debütroman der 1968 in Paris geborenen und in Lausanne lebenden Revaz in einer deutschen Übersetzung von Andreas Münzner vor.

 

Die Geschichte ist einfach: Bauer Paul, der seine Frau Vulva nennt, stellt den portugiesischen Saisonarbeiter Jorge ein, der sich als ein Studierter entpuppt. Dieser seziert mit Argusaugen das Leben des Bauern und macht Vorschläge zur Verbesserung. Zum Beispiel sei es von Vorteil, wenn der Paul sich mehr seiner Frau zuwende. Dass der Ehemann und sich Meister nennende Paul Frauen im Allgemeinen verachtet und die „Vulvinha“, wie Jorge sie nennt, Verständnis deshalb bei eben diesem sucht und findet, ist der Ausgangspunkt eines emotionalen Prozesses, in dem es für die Frau um Leben und Tod geht.

 

Von seinen Kindern weiß Paul nichts, nicht einmal die Namen („und dann der, der ein Weibchen ist“). Von der Vulva weiß er nur, dass sie nicht so funktioniert, wie er will, und ihr Krebsgeschwulst im „Kugelbauch“ nur eine Ausrede dafür ist, dass sie nicht arbeiten will. Seine Kühe aber kennt Paul alle mit Namen. Dennoch sind sie für ihn nur „fette Gras- und Heusäcke, aus denen man Rahm macht“. Als die Kühe wegen eines Virus wegsterben, wird er aber doch wehmütig.

 

Da Paul der Erzähler ist, muss die ganze Welt durch den Paul hindurch, damit sie aufs Papier kommt. Und wie Noëlle Revaz die Welt durch diesen Holzkopf entstehen lässt und dabei eine ganz neue poetische Sprachkraft entfaltet, zeugt von unglaublichem Können. Das Interessante ist, dass da einer redet, der des Schreibens und Denkens nicht mächtig ist und radebrechend ins Wortfeld drischt, falsche Kausalitäten entwickelt und Präpositionen verkehrt benutzt. Der entstehende brutale Monolog ist von seltener Direktheit und dabei so künstlerisch wirkend, dass jeder Satz butterweich in den nächsten läuft. Das liest sich weg, als würden einem die Augen an einer Winde durch die 300 Seiten gezogen. Das tut weh und ist doch so packend. Wow! Ein Psycho-Thriller der anderen Art. Die ganze Unterschiedlichkeit zwischen dem Mann (dem Urviech) und der Frau wird hier auf das Heftigste deutlich.

 

Der Roman könnte im 19. Jahrhundert spielen. Nur wenige eingestreute Technizismen weisen darauf hin, dass man sich wohl irgendwo um 1990 befindet. „Von wegen den Tieren“ ist ein großartiger und erschreckender Roman, der mit der Idylle des Landlebens kräftig aufräumt, die Gender-Debatte anheizt und so manches relativiert, was man in Großstädten an Problemen haben kann.

 

Carsten Klook

 

Noëlle Revaz: Von wegen den Tieren, Urs Engeler Verlag 2004

 

amazon