1. März 2005

Faible fürs Detail

 

Das Beste wäre, es mit dem Lesen zu halten, wie es einem gerade passt. Beiläufig zum Beispiel, oder lieber insistierend – wenn es einmal nötig scheint. Halbschlaf, das mittlerweile fünfte Buch von Johannes Jansen, nimmt beide Möglichkeiten für sich in Anspruch. Um seine Betrachtungen des Innen- und Außenbereichs eines poetischen Selbst, dessen dämmriger Rand doch unangetastet bleibt, mal erzählend, mal eher essayistisch in Szene setzen zu können, hat Jansen eine aphoristische Form gewählt. Sie fordert die flüchtige und beharrliche Lektüre ein. Das Aphoristische kommt zudem Jansens Vorliebe für das „beiläufig Angeschwemmte“ entgegen, dessen Schauplatz bereits der Titel vorstellt.

 

Denn mit Halbschlaf ist ja ein Zustand des Übergangs gemeint, ein Zwischenbereich, also jener ausgezeichnete Ort, an dem all die Dinge und Begebenheiten zum Vorschein kommen, die man für gewöhnlich schon wieder vergessen hat, ehe sie noch recht im Gedächtnis Platz gefunden hätten. Im Halbschlaf, möchte man sagen, dämmern sie auf und kehren wieder. So verstanden, kündigen Titel und aphoristische Form ein literarisches Programm an, das aufs Beiläufige geht, um es quasi in Permanenz erscheinen zu lassen – bis einmal die Verhältnisse, in die man sich Tag für Tag hineinorganisiert, ordentlich durcheinander geraten sind.

Ganz zum eigenen Unglück aber erweist sich, je länger man in Jansens Texten liest, dessen Vorliebe als kalkuliertes Faible fürs Detail, dem es längst nicht mehr um dieses oder jenes kleine verstörende Etwas, sondern um das Detail im Allgemeinen geht. Es wird zum Träger der Hoffnung, doch einmal das „fragmentarische Bild eines Ganzen“ zu erhalten. Denn lassen sich die in „Halbschlaf“ versammelten Betrachtungen auch nicht zu einer Einheit fügen, so ist jeder einzelnen von ihnen zumindest noch der Verlust ihres einstigen Zusammenhangs eingetragen. Darin kommen sie letzten Endes wieder überein. Das ist ihre Gemeinsamkeit.

 

Dem poetischen Selbst, das Jansen in seinem Buch beschwört, ist all dies zur vertrauten und geliebten Einrichtung geworden, in der es sich zum Trotz und Trost ganz wunderbar aushalten lässt. Schließlich weiß man sich dergestalt ja in guter Gesellschaft des gern zitierten Subjekts der Moderne, das, ein wenig romantisch perforiert, seiner Entfremdung mittels einer Ästhetik des Fragments beizukommen sucht. Unter solchen Umständen droht das Aphoristische auf das Maß der Lebensweisheit zurechtgestutzt zu werden und die aufgeworfene Metaphorik im bloßen Wortspiel zu enden, bis man unversehens im Sprichwörtlichen angekommen ist, um beharrlich dem „Tropfen Essenz, der das Wasser in der Tonne verändert“, Tribut zu zollen.

 

Sönke Hallmann

 

Johannes Jansen: Halbschlaf; Suhrkamp 2004

 

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