26. Februar 2005

Believe the Hype!

 

Zu Andreas Neumeisters neuer Phrasensammlung „Angela Davis löscht ihre Website“

 

So mancher Internetseite würde man nun wirklich keine müde Träne nachweinen, sollte sie aus dem Netzuniversum ein für alle Mal getilgt werden. Man denke an die unzähligen privaten Homepages, die im Stile von „Mein Haus, mein Auto, meine Yacht“ auch vor Grundriss-Skizzen des Eigenheims oder Fotos familiärer Feiern nicht zurückschrecken. Handelt es sich jedoch um die Website einer Bürgerrechtlerin, kommt das Löschen einer Kapitulation gleich. So geschehen bei der Linksaktivistin Angela Davis, die nach den Ereignissen des 11. Septembers sich gemüßigt fühlte, ihren Amerika-kritischen Netzauftritt aus dem Internet zu nehmen. Auch wenn die Person Angela Davis nur als Aufhänger dient und ansonsten nicht mehr zur Sprache kommt, verweist der Titel von Andreas Neumeisters neuem Buch doch auf eine allgemeine Resignation. Die kritische Öffentlichkeit scheitert gleichermaßen an der Dominanz und Manipulation medialer Meinungsführerschaft wie am Informationsüberfluss. „Ein wesentlicher Unterschied zu 1960 ist die massenhafte Verfügbarkeit an Informationen, die in ihrer Fülle jede Zensur überflüssig machen“, resümiert der Autor nüchtern.

Dass Neumeisters neues Buch vorliegt, ist allerdings Beweis genug, dass es noch etwas zu sagen gibt, und sei es die archivierende Präsentation des medialen Schwachsinns. Teilweise bildet der Autor diesen eins zu eins ab. Beispielsweise wenn er auf vollen zwei Seiten die Zeile: „I´m informed, I´m entertained, I´m infotained, I´m okay“ unzählige Male wiederholt. Es ist dabei nicht immer klar, ob allein die Übertragung dieser Phrasen in das literarische Genre wirklich genügt, um entlarvend zu wirken. Deutlicher dagegen wird Neumeisters kritische Haltung, wenn er nicht nur wiedergibt, sondern neue, absurde Zusammenhänge kreiert. Etwa indem er in einem Dreizeiler die Beliebigkeit des Infotainments zur Schau stellt:

 

Veronas Welt

Sofies Welt

Zlatkos Welt

 

Oder wenn er knapp und im ernsten Ton konstatiert:

 

Lindenstraße wird in Köln gedreht, spielt aber in Mjunik

Marienhof wird in Mjunik gedreht, spielt aber in Köln

(bei einigen Szenen verursacht das zusätzliche Kosten)

 

Neben der Spaßfraktion ist ein Großteil des Buches Katastrophen und Kriegen gewidmet, die nur scheinbar nicht ins Unterhaltungsprogramm passen. „Erst wenn schließlich auch die Werbeblöcke gestrichen werden, ist die Sache da draußen wirklich ernst.“ Bis dahin aber tritt der Ernstfall nur im Ernstfall tatsächlich ein, was man bereits aus Neumeister Roman „Gut laut“ lernen konnte. Wie geschmacklos der Umgang der Medien mit dem Leid anderer ist, bringt die Tautologie: „Die Betroffene selbst zeigte sich am ärgsten betroffen“ auf den Punkt. Von literarisch-verfremdenden Bonmots wie „Bedingungen, die jede Verspottung beschreiben“ hätte man gerne mehr gelesen in der vorliegenden Zitate-Sammlung.

Im nahe liegenden Vergleich zu Neumeisters „Gut laut“, in dem er genauso im DJ-Stil Refrains, Abbildungsverweise, Definitionen von Abkürzungen, Phrasen und Fragen samplete, fällt auf, dass die aktuelle Schrift auf jeglichen persönlichen biografischen Bezug verzichtet. War in „Gut laut“ noch die Musikszene Münchens ab den 70er Jahren der Referenzraum nicht zuletzt auch für die Befindlichkeit des Autors selbst, kann in „Angela Davis löscht ihre Website“ nur noch eine zeitliche Bestimmung festgemacht werden, nämlich die Zeit um den 11. September 2001. Das ist plausibel, da die starke Bezugnahme auf TV und das World Wide Web keine räumliche Eingrenzung mehr zulässt. Und doch hinterlässt genau diese örtliche und subkulturelle Ungebundenheit einen schalen Beigeschmack. So groß der Erkenntnisgewinn durch Neumeisters Herausreißen der unsäglichen Phrasen aus dem Medienuniversum auch ist, der Spaßfaktor leidet unter der Ernsthaftigkeit, mit der diese vorgetragen werden und der fehlenden Rückbindung an eine Lebenswelt außerhalb der medialen Repräsentation. Mag das womöglich gerade die Absicht Neumeisters sein, zu zeigen, dass es kein Leben außerhalb des Mediendiskurses gibt, widerspricht das Buchprojekt in seinem kritischen Gestus doch gerade dieser Vereinnahmung. Die trotzig hedonistische Attitüde des Pop aus „Gut laut“ war genauso wenig apolitisch und harmlos wie sein aktuelles Buch, dafür aber besser gelaunt. Wie hieß es dort noch: „Die Party hat immer Recht.“

 

Andreas Neumeister: Angela Davis löscht ihre Website, Suhrkamp