18. Februar 2005

Sex und Bildung

 

Was Studenten wissen, wissen nur Studenten. Erfahren tut man davon allerdings meist nichts. Zu hermetisch ist das Treiben an den Hochschulen abgeschottet von der Außenwelt, und die unzähligen Seminar-Arbeiten landen in der Regel ungelesen im Papierkorb der Dozenten. Hat man keine Spione vor Ort, ist der interessierte Zeitgeistforscher auf Literatur angewiesen.

 

Die Romane Thomas Meineckes etwa spielen die universitären Diskurse der letzten Jahre bemerkenswert bis zum Exzess durch. Von den „handelnden“ Personen selbst erfährt man dort allerdings kaum etwas. Auch für die Leipziger Schule ist das Studentenmilieu ein wichtiges Thema. Hier dominieren jedoch im Gegensatz zu Meinecke gerade die Gefühligkeiten der Protagonisten, vor dem, was sie wissen und denken.

 

Ganz anders liegt die Sache dagegen bei Anna Katharina Hahn. In ihrem von der Kritik bisher sträflich vernachlässigten Erzählband „Kavaliersdelikt“ gelingt ihr eine hervorragende Mischung aus Personen- bzw. Milieubeschreibung und universitären Lehren. Die Geschichten sind dabei so unterschiedlich, wie sie nur sein können. Mal klassisch, mal moralisch oder humoristisch frech, durchgehend schauerlich skurril und mit intellektuellem Einschlag.

 

Man könnte der Autorin angesichts der Stil- und Themenbreite Unentschiedenheit vorwerfen. Doch auf so eine Idee kommt man wohl nur, wenn man alle Erzählungen hintereinander weg liest, wozu einen keiner zwingt.

 

Schauplätze sind Hamburg, Berlin, Stuttgart und das schwäbische Land. Themen sind Nazi-Vergangenheit, Tattoos, Beziehungen, mediävistische Studien und das Zusammenspiel von Sex und Bildung. So wie die junge Studentin in der Titelgeschichte aus der Bibliothek des Instituts leibhaftig in die Geschichte, die sie liest, hineingerät, so ist man als Leser schnell zu Gast und bald Gefangener in Hahns Geschichten. Dass man sich dort nicht immer wohl fühlt, liegt weniger an der auffällig konstruierten Erzählführung als an der hyperrealistischen Darstellung der größtenteils unangenehmen Situationen, die Hahn, so muss man wohl annehmen, mit großem Genuss ausgebreitet hat.

 

Gustav Mechlenburg

 

Anna Katharina Hahn: Kavaliersdelikt, Suhrkamp 2004

 

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