14. Februar 2005

"Die Heiligen werden gemalt" Nele Budelmann, Malerei

 

"Könige", Nele Budelmann

KX Mexikoring 9a, bis 27.2.05.

"Einführung in die Schuhfabrik" von Thomas Gann

und eine Besprechung von Nora Sdun

 

 

Das Persönliche wird entschieden persönlich.

Einführung in das Werk Nele Budelmanns

von Thomas Gann (Vortrag, gehalten am 10. 2. 2005)

 

Hochzuverehrende Anwesende

Ich möchte zunächst, zum Zwecke dieser Einführung, einen Umweg gehen; mich sozusagen nähern einem imaginären Seiteneingang. Nämlich: vom Text her. Diese Einführung in das Werk Nele Budelmanns erzählt zunächst nichts Konkretes über die Bilder dieser Ausstellung, davon, wie sie heißen, davon, was auf ihnen zu sehen ist. Sie wendet sich Äußerungen und Texten der Künstlerin Nele Budelmann zu. Davon geht sie aus.

 

I. Einführung in die Texte Nele Budelmanns

Nele Budelmann schreibt sehr viel. Soweit ich davon Kenntnis habe sind es zumeist große DinA3-Seiten, die in einer großformatigen Schreibmaschine beschrieben werden; in einem sehr eigenwilligen Schriftsatz. Möglicherweise lassen sich Verbindungen ziehen von dieser Auffälligkeit zu den künstlerischen Methoden in der Malerei Nele Budelmanns. Auch in ihren Bildern gibt es immer wieder reichhaltige Beschriftungen. Auffällig an diesen Beschriftungen ist, dass sie nicht in Form schlagwortartiger, dominanter Botschaften in Erscheinung treten, vielmehr erwecken die Worte, Namen oder kurzen Satzfragmente oft den Eindruck einer kurzfristigen Notiz. (z.B. „Shanghai“, „Malen mit einem kleinen Pinsel“, „Mir reicht es jetzt Helena“, „leer?“, „Warum?“). Etwas in seiner Form noch Unklares, als Statement z.T. noch sehr Zerbrechliches, eher eine Art Notiz, scheint aufgezeichnet werden zu müssen, zu sollen. Der Text, den ich an dieser Stelle vorlesen will, zu Einführung in das Werk Nele Budelmanns existiert in verschiedenen Versionen an verschiedenen Orten. Zunächst aufgeschrieben in einem Heft, findet er sich wieder im mittleren Bildteil eines großformatigen Ölbilds aus dem Jahr 1997, das den Titel IKONE Alttestamentliche Dreifaltigkeit und Alttestamentliche Dreifaltigkeit trägt. Wiederum übertragen hat N.B. den Text auf die Innenseite einer DinA3-Pappmappe. Inhalt dieser Mappe war eine 100 Seiten umfassende Blattsammlung, in der die Künstlerin Bahir, eine der ältesten Kabbalaschriften, mit Füllfederhalter abgeschrieben hat.

 

(In der kabbalistischen Tradition wird dieses Buch Rabbi Nehuniah ben HaKana, einem Talmudlehrer des 1.Jahrhunderts vor Christus, zugeschrieben. Der Grund liegt darin, dass der Text mit seinem Namen beginnt. Der Text, der nur fragmentarisch erhalten ist und eine verwilderte Sprache aufweist, hat die literarische Form eines Midrasch, d.h. einer Sammlung von Aussprüchen oder kurzen Vorträgen im Anschluss an Bibelverse, insbesondere solche, die sich mit Kosmologie und Kosmogonie beschäftigen. Die Gedankenführung ist assoziativ. Ein eben zitierter Bibelvers wird aufgegriffen und zum Gegenstand einer Erörterung gemacht. Mystische Gleichnisse (über 50) nehmen einen wichtigen Platz ein.)

 

Diese Mappe hat sie mir ausgeliehen. Der Text beginnt folgendermaßen:

–:Das Persönliche wird entschieden persönlich. Bedeutungen werden gezielt geschaffen. Ein paar Idioten welzen um die Welt. Franz West ißt geheim. Steuerfrei landet das Geld in den Taschen von armen Irren. Genauigkeit ist ein Ziel. Der Galerist ist ein Zug (am Zug?) – den Plot der Reichen finden (Geld-raichen). Vermählung von fies bitte und schön. Der Wert einer störrischen Empfindung/Erfindung berechnet sich nach dem Maßanzug der jeweiligen Erfahrung. Ich möchte gekonnte Pubs; fabrizieren, in Ruhe arbeiten, reisen, malen, ‚Humanity‘ kannst Du weiter geben, mußt Du arbeiten. Wie schaffe ich einen Lieblingsplatz und Ruheplätze? Bringt mir die Gesellschaft Spaß? ja. Bring mir diese Gesellschaft! Was tust Du? Ihr leben geben, ihr ‚kommunizieren‘, ein ja formulieren. (Ich formuliere ein Ja) Ich arbeite an der Übersetzung von zahlreichen Bildern; Das transformierte Riesenreich. Ich erzähle von Dingen.. Ich auch.. Ich brauche eine Klare genaue Vorzeichnung und einen Erlaubnisgutschein, es tun. Wie erlange ich einen Erlaubnisgutschein? Was ist schön, was ist beseelt, was berührt dich selbst, sie, sieh selbst, am Allermeisten? Gut gekleidete, reiche Frauen, dein eigenes Wesen nach Außen gekehrt, ein starkes Programm in deinem Rücken, ein Mensch, der dich liebt, der dich in den Verstand bringt, weil er ist wie Du. Er ist: wie: Jesus. Stolz, eitel, bewusst, genau, allein, mit anderen Worten, ein (das) Erkenne Dich ist da. Ich möchte in der Anerkennung eines Mannes stehen – zum ficken zu spät, zum lieben zu früh – der chronische Zeuge meiner An- und Abwesenheit. (...)

 

Jetzt verlasse ich diesen Brief.

Am Beginn des Textes stehen orthographische Zeichen: Ein Gedankenstrich, dem ein Doppelpunkt folgt „–:“;dann erst beginnt der erste Satz. Durch die vorherigen Zeichen ist er markiert; ein besonderer Status des Gesagten klingt an. U.a. der, das Resultat einer vorherigen Überlegung oder Fragestellung zu sein, die dem Leser allerdings verborgen, vorenthalten geblieben ist. „–: Das Persönliche wird entschieden persönlich.“ Dieser Satz ist von mehrdeutiger Natur. Er lässt, je nach Intonation des Geschriebenen, Lesarten zu, die differieren, je nach dem, ob das Wort „entschieden“ als ein Verb oder ein Adverb gelesen wird. Das Verb „entscheiden“ spricht von einer Entscheidung. Objekt dieser Entscheidung wäre das Persönliche. Das Persönliche wird entschieden. Das Persönliche wird persönlich entschieden. Oder, im Sinne einer Steigerung dieser Aussage: Das Persönliche wird immer – wird immer nur – persönlich entschieden. Liest man das Wort „entschieden“ dagegen als ein Adverb, so wäre der Satz zu lesen: Das Persönliche wird entschieden persönlich. Als Adjektiv meint „entschieden“: eindeutig, klar ersichtlich, eine eindeutige Meinung vertretend. Das Persönliche wendet sich eindeutig, nachdrücklich, explizit, dezidiert dem Persönlichen zu. Was aber ist dieses Persönliche, von dem hier die Rede ist Die Doppelung des Persönlichen im Satz: „Das Persönliche wird entschieden persönlich“ trägt Paradoxien in sich. Wie kann das Persönliche, dessen Eigenschaft ist, persönlich zu sein, eine Steigerung, gewissermaßen einen Superlativ dieser Eigenschaft erfahren? Was ist dies überhaupt, „das Persönliche“? In der Wahl des bestimmten Artikels gegenüber dem unbestimmten – in der Rede nicht von einem Persönlichen, sondern dem Persönlichen – markiert sich das Persönliche bereits als sein eigener Gegensatz: als das Allgemeine, das allgemein Persönliche. Ein Persönliches, das keiner bestimmten Person, keinem singulären Menschen, keinem singulären Subjekt zukommt, sondern das ein allgemeines, von vielen oder von allen geteiltes Thema, vielleicht eine Aufgabe ist: Das Persönliche. Das Persönliche als ein Inhalt. Das Persönliche, das sich ausliefert, wenn es in die Öffentlichkeit tritt, weil es dort schutzlos ist. Mann kann auch sagen: Wenn in N.B.s Text die Frage auftaucht „Was ist schön, was ist beseelt, was berührt dich selbst, sie, sieh selbst, am Allermeisten?“ Dann betrifft diese Frage das Persönliche Möglicherweise im Sinne einer Antwort auf die Frage, berichten Nele Budelmanns Bilder vom Persönlichen, von ihrem Persönlichen. Sie sind keine Biografien, sie erwecken nicht die Erwartung Privates zu hören. Aber sie erzählen doch beständig von sich, handeln – so scheint es – immer wieder und unaufhaltsam von der eigenen Person und davon, worin sie verwickelt ist. Auf diese Form des Persönlichen wird beständig Wert gelegt, ihr kommt ein Wert zu, – oder umgekehrt – es wird nichts unternommen, sie zu unterdrücken, zu tilgen, sie verschwinden zu lassen hinter dem abstrakten Objekt eines Kunstwerks oder hinter einem nur inszenierten Phantom des Persönlichen. So wird u.a. – wie im Ausstellungstitel – von einer Schuhfabrik erzählt, an der sich N.B. in Rumänien beteiligen wollte; und ihre Bilder kreisen immer wieder um Wünsche und Pläne, die sich um diese imaginäre aber zugleich beinahe reale Schuhfabrik ranken, im Sinne eines Plans, eines Lebensentwurfs, einer möglichen Zukunft. So teilte sie mir einmal einen Plan mit, den ich als vollkommen illusionär beurteilen musste: Sie wolle sich an dieser rumänischen Schuhfabrik beteiligen und zwar mit ihren Bildern. Weiterhin ihre Bilder zu malen wäre dann ihre Aufgabe, ihr Beitrag im Rahmen der Schuhfabrik. Wie im Fall dieser imaginär-realen Schuhfabrik verbinden sich am Ort des Plans und der Idee Momente der Fiktion mit Elementen der realen, persönlichen Existenz in einer Weise, die eine genaue Trennung unklar werden lässt. Was so im Rahmen ihrer Kunst entsteht, ist keine idyllische Phantasie- oder Gegenwelt. Die Wirklichkeit trägt ihre Spur auch im unrealistischen Plan. Sie ist vorhanden in der Fiktion, taucht in den Bildern auf. Und verdoppelt sich hier in neuen Konstellation. U.a. dann, wenn Motiven biblischer Erzählung („Könige auf dem Weg nach Bethlehem“) stehen ökonomische Motive der eigenen Existenzsicherung (die Schuhfabrik, die Galerie, Der Galerist, „den Plot der Reichen finden“) gegenüber stehen.

 

II. Die Ikone („Hilfsbilder“)

Eine Einführung in das künstlerische Werk Nele Budelmanns, müsste der Frage Herr werden, die nicht nur aufgrund der Häufigkeit des Motivs in den Bildern eine zentrale Frage ist. Die Frage, was es hier mit dem Motiv der Ikone, mit jener unzähligen Reihe von Heiligen, Marieen und Jesussen, Jesus im Jordan, der heilige St. Georg, der heilge St. Christopherus, auf sich hat. Eine Deutung, die in dieser Ikonenmalerei eine Präsenz von religiösen Gedanken erkennen möchte, hat womöglich überhaupt nicht unrecht, denn immer wieder betont die Künstlerin, auch in Gesprächen, wie ernst es ihr sei; dass sie die Religion sehr ernst gemeint habe. Dass die Ikonenmalerei ein sehr großes und ernstes Thema sei, und eine große Aufgabe. Zugleich sagt sie, dies seien Dinge, die man eigentlich nicht für sich (sprich: für seine Malerei) benutzen sollte. Denn tatsächlich: was sich in den Bildern ereignet ist auch eine Dynamik der Verschiebung, der Entstellung und Neufiguration dieses religiös konnotierten Figurenarsenals. Eines der Bilder trägt den Untertitel: „A new and original map of the holy land“. Die Motive und Figuren, mit denen diese neuen und originalen Karten des heiligen Landes gezeichnet werden, sind gerade keine originalgetreue Auf- und Übersicht, sie sind lesbar letztendlich nur im Rahmen einer privaten Hieroglyphenschrift, die in jedem Bild eigene Wünsche, Ansprüche und Pläne aufschreibt. Ansprüche, die einerseits einen privaten Lebensbereich zu betreffen scheinen, zugleich aber auch das Anrecht erheben, sich vom Ort des Bildes aus mitzuteilen, und von hier aus auch allgemeine Ansprüche zu sein. „Ich arbeite an der Übersetzung von zahlreichen Bildern. Das transformierte Riesenreich“, heißt es in dem zitierten Text. So sind die Heiligenfiguren in den Bildern N.B. wahrscheinlich am ehesten als Übersetzungen und Transformationen zu verstehen. Zu Entschlüsseln weniger entlang eines allgemeinen, ikonographisch tradierten Symbolgehalts, zu betrachten vielmehr im Rahmen einer durch die Künstlerin vorgenommenen Übersetzung, – einer persönlichen Umschrift. Auf meine Frage, was denn die Figur des heiligen St. Georg, der eine spitze Lanze in der Hand hält, um mit ihr einen Drachen zu töten, was also dieser auf vielen Bildern abgebildete zu bedeuten hätte, antwortete sie mir „St. Georg soll mir helfen bei allen meinen Bildern genau zu sein.“ Der Heilige wird gemalt, weil Hilfe von ihm erbittet wird. Und „Hilfsbilder“ nennt Nele Budelmann auch die hier gezeigten sehr großen Ölbilder. Diese stehen sonst in ihrer Wohnung wie Wände in einem Zimmer und werden von ihr in regelmäßigen Abständen bemalt und wieder übermalt ohne jemals wirklich abgeschlossen zu sein. Notizen sind auf ihnen zu lesen. Kleine Zeichnungen, Andeutungen, dann nur wieder mit Farbe übermalte Flächen. Diese Bilder, so die Künstlerin, sollen ihr helfen beim Malen. Sie sollen die Hilfe für zukünftige Bilder sein. Keine Bilder, nur Hilfsbilder. Möglicherweise liegt aber gerade in diesem mangelhaften Status ihr Reichtum. Eine Malerei entsteht so, die von Hilfe und von einem Zukünftigen kündet.

(Thomas Gann)

 

 

Die Bilder sind so groß und vollgestopft mit Heiligen. Die variablen Wände bei KX sind aber zu kurz, deshalb ragen die Leinwände mindestens einen Meter über sie hinaus. Das sieht gar nicht so bekloppt aus, es erinnert an die malerische Unordnung in orthodoxen Kirchen, die natürlich nicht unordentlich sind, aber eingeschmückt und feierlich vollgepfropft. Königlich eingeschmückt ist KX, und wenn die Wände zu kurz sind, ist das den Heiligen auf den Bildern gerade egal, sie beschämen die Wand mit weihevoller Nichtachtung. Denn sie sind mit ihrem eigenen Strahlen und aureolischem Wachstum befasst, sie interessieren sich nicht für Dinge außerhalb ihrer vier Keilrahmenbalken, denn sie sind Ikonen. Nele Budelmann hat diese großen Bilder gemalt. Sie ist keine, sie hat auch keine Schuhfabrik, aber es gibt kleine getippte Zettelchen in den Bildern. Sie offenbaren eine Neigung zu ungebremstem Konsum, dem sich so nur eine Walzwerksgattin hingeben kann. Die Heiligen streiten für sie. Die unheiligen Bedürfnisse der Malerin, „Ich will noch viele Teile von Versace“, werden bekämpft und gedämpft mit Gold, Purpur und gemalter Mhyrre. Georg und die anderen reiten und reiten, und jeder Versace-Flagshop könnte sich glücklich preisen mit solchen Rittern als Kunden, denn sie brauchen diamantne Colliers und prächtge Satteldecken für ihre Reittiere, außerdem für sich selbst noch purpurne Gewänder und feinziselierte silberne Beschläge für ihre heiligen Lanzen.

(Nora Sdun)

 

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