7. Februar 2005

Milieuschaden

 

Nicole Messenlehner: „Zimmer mit Aussicht“, 3.2.05–16.2.05, Ausstellung im Schaufenster, Trottoir, Hamburger Hochstraße 24

 

Es gibt unglaublich gut aussehende Einzelhändler. Ein bisschen italienisch und überhaupt Wahnsinn, auch in Hamburg. Jedenfalls haben die natürlich auch gute Ware, und man geht da immer hin und weiß bald gar nicht mehr, ob es der Einzelhändler oder das Papier aus Florenz ist, welches einen hinzieht an den Tresen und das Geld aus dem Portemonnaie für einen weiteren Bogen Papier.

 

Musterhaftes Beispiel. Also wenn man in diesem Laden steht, sogar oft, hat die Kunst, die man will, eben auch etwas von diesem Laden. Eigentlich bei Kunst also immer, sehr klare Sicht auf Milieuschaden. Jedenfalls gibt es klein geblümte gelbliche Geschenkpapier-Bögen aus diesem Laden in dem regalförmigen Gedicht von Nicole Messenlehner zu sehen, und das Gedicht lautet folgendermaßen.

 

„In schwärzeste Laune gehüllt

zeigt sich ein Bissen von Nacht vor dem Fenster.

Keine Gewissheit,

ob der meine nebenan derselbe sein wird.

Vergeblich darauf warten,

dass ein Stein sich müht, vom Buckel abzufallen.“

 

Nachtschadengeschenk, das ist es. Zart geblümt schaut man ganz klein, orange und gelb im Kopf vom Muster auf dem Geschenkpapier durch eine Milchglasscheibe, auf der jenes Gedicht geschrieben steht in klaren Lettern, durch die man blickt, aus dem Regal, was auch ein schmales Zimmer ist, hinaus auf die Straße. So heißt’s schließlich, „Zimmer mit Aussicht“. Aber so herum sieht man gar nicht, sondern anders herum. Man schaut von außen in dieses Regalzimmer hinein. Aber von innen hätte man die Aussicht. Und ob man sich da nun einem klein geblümten, italienisch gelaunten Möbel anvertraut und davon einen lyrischen Bangigkeitsanfall bekommt oder ob sich ein Gedicht aufdrängt, wenn man bei italienischen Einzelhändlern Papier kauft, bleibt offen. Deutlich sehen kann man jedenfalls nur durch die Buchstaben, so wie man durch die Finger sieht, die man sich vors Gesicht schlägt oder wie man auf beschlagene Scheiben schreibt im Winter ... Wichtige Dinge und selbstverständlich in Spiegelschrift. Im Hintergrund blüht die Tapete.

 

Es gibt lange diese beschrifteten Möbel, da steht zum Beispiel „trautes Heim, gieß Wasser zur Suppe, alles rein“ auf einem Lappen, der ein kleines Bord abschirmt, extra für eine Stange zugeschnitten, bestickt, gewaschen und gestärkt und für nichts zu gebrauchen, außer um seine Botschaft in die Welt zu stauben. Und es wird heimlich bis zum Würgen. Das Möbel in der Ausstellung im Schaufenster ist so etwas, durch seine spezielle Beschriftung dann aber doch mehr ein dysfunktionaler Schrein für Gedichtanthologien. Ein aussichtsreiches Leben als Bürger oder eine Aussicht auf den Bürgersteig der Hamburger Hochstraße ... Wenn man reinguckt, jedenfalls eine italienische Tapete, keine Raufaser.

 

Nora Sdun