6. Februar 2005

Lustige Insultationen

 

Mit diesen, vor allem aus Tagebucheintragungen und Briefen sich speisenden Erinnerungen legt der Autor Henner Voss eine sehr kurzweilige und äußerst amüsant zu lesende schmale Publikation vor, die dem Verfasser des Romanessays „Die Reise“, Bernward Vesper, gilt, Sohn des „nationalkonservativen“ Dichters Will Vesper. Am Totenbett versprach der Sohn, die gesammelten Werke des Dichters neu herauszubringen, was er auch tat, und zwar mit tatkräftiger Unterstützung von Bernward Vespers Verlobten Gudrun Ensslin.

 

Henner Voss lernte Vesper Anfang der 60er Jahre in Rodenbach bei Köln kennen, wo sie gemeinsam die Buchhändlerschule besuchten. Vesper, so Voss, ist ein bisschen anders als die anderen. Er kennt kaum die Autoren, über die die anderen sprechen, dafür sind ihm die „Kollaborateure“ der Nazizeit nicht nur namhaft im Sinn, Leute also wie Benn, Jünger, Hamsun, Drieu la Rochelle, Céline… Auch sein Verhalten verwundert: „Wir staunten über die geringen Mengen Alkohol, die Vespers Impulskontrolle exorzierten. Es war keine ansteckende Munterkeit, die seine Zurückhaltung verabschiedete, vielmehr ein – wie soll ich sagen? – jähes befremdendes Überschnappen, Ausrasten und Entgleisen, ein Verlust sämtlicher Sicherungen, der beunruhigend war…“

 

Das Schöne an diesem Buch ist, dass das nicht nur behauptet, sondern seitenweise belegt wird. Zum Beispiel an Vespers bizarrem Verhältnis zu Frauen oder seinem Zwang, akademischen Intellektualismus auch dann vorzuführen, wenn die Situation nicht unbedingt danach verlangt. Das hat man so schon lange nicht mehr gelesen, gehört aber vom Niveau her ungefähr in die Riege eines Thomas Kapielski, also halt Kalauern mit Anspruch oder umgekehrt von vornherein als geistiger Trash verpackt. Es empfiehlt sich übrigens, ein Fremdwörterlexikon dabei zu haben, die Verachtung der Menschen geht durchaus einher mit der Liebe zur Sprache, ja scheint jene bisweilen zur Voraussetzung zu haben. Bernward Vesper, oh weh, war kein Menschenfreund. Dieses Buch ist jedoch alles andere als eine Denunziation, wenn auch immer mal wieder kritische Töne, vor allem zum Ende der vierjährigen Freundschaft, einfließen. Egomanie, „Dissozialität“, Größenwahn, Ironieresistenz. Das schwierige Vater-Sohn-Verhältnis wird dabei aber nur am Rande gestreift, Henner Voss geht es nicht um psychologisch triviale Ableitungen, wo am Ende eines armen Opferdaseins notwendigerweise der Selbstmord steht, der in der Tat von Vesper 1971 begangen wurde. Der Witz, der in diesem Buch im Vordergrund steht, hat sicher seinen tragischen, aberwitzigen Zug, aber vor allem bekommt der Leser, der dieses Büchlein schätzt, Lust, Vespers „Die Reise“ (wieder) zu lesen, von der eine Neuauflage für das jetzige Halbjahr angekündigt ist. Arbeit an der Sprache. Einen gelungenen Vorgeschmack bieten Voss’ Erinnerungen.

 

Dieter Wenk

 

Henner Voss, Vor der Reise. Erinnerungen an Bernward Vesper, Hamburg 2005 (Nautilus)

 

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