Schrei lauter

 

Hast du Sachen gesehen, die deiner Meinung nach in einem das Jahrhundert überdauernden... nein, so kann ich das nicht sagen, noch mal: Gibt es dort(mund) Arbeiten, die einen genaueren Abgleich, sprich Untersuchung mit Bildern Munchs lohnen? Schaffen sie das? Gibt’s Künstler, die man sich dazu noch hätte wünschen können? Was kostet der Katalog? Ich wüsste dann gerne einen Grund, warum ich die Ausstellung besuchen sollte.

 

Nu, ich hatte mir viel mehr Malerei gewünscht, so ein richtiges Borstenarmdrücken, das gab’s leider nicht. 1 Doig, 1 Butzer, 1 Winstanley reicht nicht für eine Olympiade. Aber es gab Munchs, die ich nicht kannte, schon gar nicht im Original.

 

Mit Munchs Hilfe wird man es schaffen. Endlich herausragen aus den beliebigen Strukturen, den fürchterlichen Netzwerken und der ganzen scheußlichen Gesellschaft. 36 Künstler der letzten Dekaden stellen neben Munchs berühmten Bildern aus. Mehr als 50 Gemälde und Grafiken des Norwegers aus ganz Europa sind versammelt. Es ist eine Schau quer durch alle Kunstsparten. Willkommen im gesteigerten Seelenleben.

 

„Oh, wenn ich meine guten Tage habe, da kommt es mir vor, als ob ich weit in die Seelen anderer hineinspähen könnte, obwohl ich im übrigen kein guter Kopf bin“, schrieb der Jugendfreund Munchs, Knut Hamsun, in der Erzählung „Pan“. Es ist genau diese erhitzte Selbstüberschätzung mit kurioser Demut bei Edvard Munch, die seine Bilder auch 60 Jahre nach seinem Tod durch die Werke zeitgenössischer Künstler geistern lässt.

 

Die Bezüge der heutigen Kunst zum Werk von Munch werden in Dortmund zu drei Motivgruppen geordnet. Melancholie und Einsamkeit, Frau und Mann, Mensch und Raum sind die Bereiche getauft worden. Eine archaische Angelegenheit. Ob wohl jemandem etwas einfällt, was nicht unter diese immer gleichen, immer dringenden Themen zu subsumieren ist? Aber egal, denn irgendwie muss man ja anfangen mit dem Vergleichen. Es gibt viel zu sehen, die Räume im Museum für Kunst und Kulturgeschichte sind rappelvoll. Das Ausstellungskonzept ist richtig, so einen Großmeister mit kleinen Fischen zu assoziieren, ist doch sinnig, sowohl für den Großmeister als auch für die Fischlein, auch um herauszufinden, ob der Fisch fett ist oder schwer. Und hat Kippenberger, der dort übrigens auch hängt, nicht seine Bilder besonders gerne neben die schlechtesten Kollegen gehängt, um ganz klar zu machen, wo hier die Heiligkeit baumelt und vor allem in welch gnadenvoller Nähe zum Jahresdreck?

 

Bilder können lange warten und der aktuellen Deutungsmode ganz unterschiedlich sekundieren. Und da das Geschlechterverhältnis weiterhin bedenklich ist, haben Bilder wie „Vampir“ von 1902 ungebrochen große Wirkung. Baselitz’ dazugruppiertes Doppelportrait heißt aber nur noch und weniger blutrünstig, „Anxiety“. Es sind einfache formale Mittel, die zeitgenössische Künstler den Malereien von Munch abschauen und für ihre Arbeit verwenden. Ein düsterer Mann und eine lichte Frau, Sarkis aquarelliert es noch einmal genauso. Sam Taylor Wood hat ein blasses Mädchen gefilmt, so traurig wie „das kranke Kind“ von 1894. Ein rotes Haus vor dunklem Grund, in dessen Fenstern sich ein hellblauer Himmel spiegelt. Im Video von Eija-Liisa Ahtila wird so ein Haus zum Schauplatz auseinander fallender Wahrnehmung. Jürgen Partenheimer nennt seine Hommage an Munch „Metaphysischer Realismus“. Es geht um animistisches Welterleben.

Das subjektivistische Wühlen in unheilvollen Empfindungen und diese Zustände gleichzeitig nicht zu ertragen, macht man Munch nicht so leicht nach. Die Künstler reizt es immer wieder. Es gilt einen Zusatz zu gestalten, eine alte Bildidee für heute anzuschärfen.

Der letzte Schrei in Fragen museumspädagogischer Klarheit sind rosig, grüne und violette Streifen. So läuft ein breites, je nach Thema eingefärbtes Band, in Wadenhöhe unter den Bildern entlang, und man bekommt wirklich nichts durcheinander, aber auch einen Wutanfall, wenn das fabelhafte Colorit auf Munchs Bildern ferkelrosa unterstrichen ist. Also, diese Schweinereien mit den bunten Wänden sollte man wirklich verbieten. Der Katalog hingegen ist schön gelungen, kostet 30 Euro, und Munch bleibt der Meister. Weshalb man die Schau auch ruhig betrachten kann, scheußliche Ausstellungsarchitektur hin oder her.

 

30. Januar – 1.Mai 2005

Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund

 

Nora Sdun, Mathias Deutsch