11. Januar 2005

Unverfälscht schematisch

 

„... und träumen drauf von Gartenlauben, von Kegelbrüdern, Turteltauben, vom Kühlschrank, formschön Wasserspeier: Wir nähern uns dem Biedermeier!“

 

So singt Kitty am Atlantik-Wall. Heiter in die Katastrophe. Im Fall der von Wiesbaden nach Hamburg gewandernden Fotoausstellung, die zehn Künstlerabschlussarbeiten präsentiert, waltet der Geist, den Kitty beschwört. Im Editorial des ausliegenden Magazins heißt es: „... zeigen zu können, was an kreativem Potential in jungen Menschen steckt, bevor es möglicherweise in den Anforderungen des Alltags versickert.“ Das Potenzial ist offenbar vor allem groß, wenn es um anschmiegsame Ästhetik des Alltags geht. Und genau dahin sollen sie doch nicht versickern.

 

Die Ausstellenden sind auf verschiedenen deutschen Hochschulen ausgebildet, und es sind doch ganz verständnisinnige Fotografien, die sich zu einem heimeligen Ganzen bündeln lassen. Die Gleichförmigkeit der Themen ist, nicht nur bei Fotografie, erstaunlich. Sinnende, U2-Autismus verströmende, aseptische Körperlichkeit, exotische Pflanzen, die aussehen wie Plastik, Plastiklandschaften, deutsche Idyllen mit dazugehöriger Utopie. Ganz verschiedene Sujets, sollte man meinen, aber der Blechtrommler, der die Szene des Eingangszitats als Gnom und Berichterstatter vermittelt, fehlt immer. Die Künstler haben sich ihre eigene Meinung abtrainiert.

 

Es sind schöne Fotografien. Ein blond schlafendes Hündchen auf einem blonden Eisbärenfell. Theatralisch angeleuchtete Fassaden. Klar und deutlich, konzeptionell abgesichert. Und den Künstlern ist kein handwerklicher Vorwurf zu machen. Um zu verhindern, dass die ganze Branche in eine Handwerker-Szene abkippt, in der man sich trefflich mit Materialität, Schärfe und Computerprogrammen beschäftigen kann, wird hier allerdings wenig unternommen.

 

Die Künstler reproduzieren einen Status quo. Wir nähern uns nicht dem Biedermeier, wir sind schon mittendrin. Wieder ist den Künstlern kein Vorwurf zu machen. Sie beschäftigen sich konzentriert mit ihrem Thema, sie bleiben bei ihrer Sache und sind sorgfältig. Aber was soll das bedeuten? Videosequenzen von deutschen Garagentoren und Koniferen? Novizen, als Stellvertreter der Innerlichkeit? Paradies-Metaphern als Topfpflanze oder Heidepark? Das sieht man doch überall in Stadt und Land, Psychokitsch mit verträumtem Arrangement. Der Besuch in einem Teeladen gewährt die gleichen Genüsse.

 

Was ist los? Was will uns der Künstler damit sagen, nichts natürlich, aber Betrachter können dazu auch nichts sagen, weil die Fotografien dieselben Rezeptoren besetzen, wie der Alltag. Es mangelt an einer Winzigkeit, einer, meinetwegen gnomenhaften oder absonderlichen Beobachterposition, die solche Szenen zu moralischen Zwickmühlen macht. Weil man sich plötzlich nicht mehr zurechtfindet, obwohl alles so vertraut ist. Nur eine Idee weniger Mimesis, und eine Prise Widerstand, und diese Schau wäre gut.

 

Nora Sdun

 

„Gute Aussichten“

Junge deutsche Fotografie 2004/2005

Deichtorhallen, Hamburg: 6. 1.–22. 1. 05

 

www.guteaussichten.org