11. Januar 2005

Familienerbe bitte hier abgeben

 

Seit September 2004 ist im Hamburger Bahnhof die Friedrich Christian Flick Collection zu sehen, ein Teil der an die Stadt Berlin entliehenen Kunstsammlung von Friedrich Christian Flick. Bereits im Vorfeld war es zu Kontroversen über die kulturpolitische Bedeutung der Ausstellung gekommen. Unter dem Titel Heil Dich doch selbst! Die „Flick Collection“ wird geschlossen fand Mitte Dezember in den Räumen des Berliner Hebbeltheaters eine gemeinsame Veranstaltung zahlreicher Kritiker der Ausstellung statt. Neben Vorträgen von Thomas Kuczynski, Diedrich Diederichsen, Sissi Tax, Raul Zelik und anderen waren auch Künstler wie Albert Oehlen, Pipilotti Rist und Jeff Wall mit visuellen Kommentaren präsent. Die gut 20 Vorträge und Statements widmeten sich vor allem der Überschneidung des Kulturellen und Politischen, dem gemeinsamen Fluchtpunkt der bisherigen Debatten um die Flick Collection. „Postavantgarde und ein staatlich unterstützter Normalisierungsanspruch“, so lautete die Diagnose der Organisatoren in ihrer Ankündigung, gingen „eine unheimliche Synthese“ ein. Um diesen Befund nachzuvollziehen, ist es notwendig, kurz die Hintergründe der Ausstellung zu umreißen.

Nach gescheiterten Anläufen in Zürich und München ist es Friedrich Christian Flick gelungen, seine gewaltige Kunstsammlung, die über den kurzen Zeitraum von nur sieben Jahren zusammengetragen wurde, in Berlin unterzubringen. Etwa ein Fünftel der circa 2500 Werke meist anerkannter Künstler wie Gerhard Richter, Paul McCarthy, Bruce Nauman oder Wolfgang Tilmans werden derzeit im Hamburger Bahnhof präsentiert. Der immense finanzielle Wert dieser Sammlung ist auf dem Kunstmarkt unbestritten. Anlass zur Kritik der Ausstellung waren und sind jedoch die Mittel, mit denen der Ankauf der Kunstwerke finanziert wurde. Der Reichtum des Sammlers gründet sich auf das hinterlassene Vermögen seines Großvaters, dem Industriellen Friedrich Flick, das in einem eindeutigen Schuldzusammenhang mit der faschistischen Geschichte Deutschlands steht. Der Werdegang des einstigen Rüstungslieferanten der Wehrmacht ist über dessen Spenden für den Wahlkampf 1933 mit der NSDAP verknüpft. Im Zuge der Nürnberger Prozesse wurde Friedrich Flick wegen der Ausbeutung von bis zu 50 000 Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs rechtskräftig zu sieben Jahren Haft verurteilt. Er erkannte seine Schuld jedoch nie an. Den Enkel verbindet mit dem Großvater nun nicht allein das Familienerbe: Wie dieser hat Friedrich Christian Flick den ehemaligen Zwangsarbeitern stets eine Entschädigung verwehrt. Obgleich er die Verbrechen seines Großvaters nie abgestritten hat, ist seine Weigerung dennoch als Versuch zu werten, den Fortbestand einer konkreten Schuld aufzukündigen und damit der Rechtmäßigkeit gegenwärtiger Opferansprüche eine Absage zu erteilen.

Diese Haltung ließ auch Christina Weiss, Kulturstaatsministerin von Berlin, in ihrer Rede zur Eröffnung der Flick Collection erkennen. Den überwiegend kritischen Kommentaren des deutschen Feuilletons stellte sie zunächst die Frage entgegen, ob „uns Flicks Kunstsammlung willkommener (gewesen wäre), wenn er in den Zwangsarbeiterfonds eingezahlt hätte“, um sogleich mit der zweiten Frage anzuschließen, ob sich der Enkel „von seiner Verantwortung freikaufen“ könne. Im Fokus der nur mehr rhetorisch gemeinten Fragen der Staatsministerin steht zwar das Ziel, den Vorwurf zu entkräften, Friedrich Christian Flick wäre seiner durch das Erbe übertragenen Verantwortung nicht gerecht geworden. Rückwirkend wird aber noch der Zwangsarbeiterfonds zu Gunsten der Ausstellung abgewertet. Einer ähnlichen Logik folgte die Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der „Pflicht zur Verantwortung vor der Geschichte“, die Friedrich Christian Flick mit „seinem Familiennamen“ geerbt habe, stellte Schröder eine in diesem Kontext nicht zu vernachlässigende Unterscheidung zur Seite. Der Erbe selbst hatte sie eingeführt. Schuld, so das gemeinsame Credo, könne „man nicht erben, Verantwortung schon“. Die Verpflichtung, von der Schröder mit Blick auf das Band zwischen dem begangenen Unrecht des nationalsozialistischen Deutschland und dem Familiennamen Flick spricht, erweist sich zugleich als eine Entpflichtung. Denn an die Stelle einer aus dem Erbe resultierenden Schuld gegenüber den Opfern tritt die Rede von einer Verantwortung vor der Geschichte. Entsprechend lässt sich dann auch die Leihgabe der Sammlung als kulturelle Leistung rühmen, die der inaugurierten historischen Verantwortung Genüge trägt.

Vor allem in den Reden der Staatsministerin und des Bundeskanzlers bestätigt sich die These der Veranstalter von Heil Dich doch selbst! Kenntlich wird, inwieweit das Kulturelle zum Terrain einer Politik wird, die längst schon Tendenzen zur Normalisierung im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in ihr Kalkül einbezogen hat. Schröders Topos der historischen Verantwortung als Ersatzfigur der konkreten geschichtlichen Schuld ist dafür ein signifikantes Beispiel. Das Zustandekommen der Ausstellung im Hamburger Bahnhof ist, so lautete eine weitere These der Veranstalter, als Resultat und Abbild eines umfassenden Normalisierungsprozesses zu sehen, der die Aufhebung der „Blockade politischer Macht, die durch die deutsche Geschichte gegeben ist“, bezweckt. Aufheben, das meint in diesem Kontext aber nichts anderes, als die „Erinnerung der Shoah“ stillzustellen. Ein Symptom dieser Stillstellung ist die Bezugnahme auf den Familiennamen Flick, wie sie schon Schröders Rede anklingen lässt.

In einem Brief an seinen Onkel Friedrich-Karl hatte Friedrich Christian Flick schon 1997 die im Entstehen begriffene Kunstsammlung unter die Perspektive gestellt, „meinen Kindern und Nachkommen eine konstruktive und sinnvolle Möglichkeit zur neuen Identifikation mit unserem Namen“ aufzubauen. Die Äußerung lässt erahnen, wie Friedrich Christian Flick die für seine Generation gegebenen Bedingungen einer solchen Identifikation bewertet. Sie zu ändern ist fraglos das Ziel seiner Bemühungen. Die angestrebte Sammlung erweist sich dabei, ganz im Unterschied zum Zwangsarbeiterfonds, als das geeignete Mittel, die auf dem Namen Flick lastende Schuld aufzuheben. Die gewaltige Umschichtung des vom Großvater geerbten Kapitals geht einher mit dem Willen zur Um- und Neubewertung des Familiennamens. Nicht allein, aber eben auch diesem Zweck wird die Kunstsammlung unterstellt. Dass Friedrich Christian Flick deren Präsentation im Hamburger Bahnhof mit seinem Namen und tatkräftiger Unterstützung der Berliner Regierung gegenzeichnen konnte, muss als jener Eingriff ins kulturelle Gedächtnis verstanden werden, der im zitierten Brief angekündigt wurde.

Es ist das Erbe eines seiner konkreten historischen Schuldzusammenhänge enthobenen Namens, das der Sammler zeitgenössischer Kunst den kommenden Generationen hinterlassen möchte. Die Investition der geerbten Millionen soll sich durch die „ideelle Wertsteigerung“ bezahlt machen, wie Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, kritisch anmerkt. In dieser Logik des guten Namens stellt die Absage an eine Schenkung der erstandenen Kulturgüter ein weiteres bemerkenswertes Detail dar. „Zu meinen Lebzeiten“, gab Friedrich Christian Flick bekannt, „wird es keine Stiftung geben, in die meine Kunstwerke eingehen. Ich möchte die Kontrolle über meine Sammlung nicht verlieren.“ Keine Stiftung, sondern eine Kapitalanlage, deren Wert sich durch die Ausstellung noch steigern dürfte, bildet die Sammlung.

Worin besteht nun also die kulturelle Leistung, die Schröders Topos der historischen Verantwortung aufruft? Sicher besteht sie nicht in der befristeten Leihgabe der durch das Erbe erworbenen Kunstsammlung. Von kultureller und politischer Relevanz ist die fundamentale Verschiebung im Umgang mit der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands. Zum Tragen kommt dies exemplarisch in Friedrich Christian Flicks Haltung gegenüber der Familiengeschichte und seiner Verpflichtung auf den Familiennamen. Gerade nicht in Rückbezug auf die unzählbaren Opfer, die in den Rüstungswerken unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten und nicht selten dort zu Tode kamen, sondern erst aufgrund der Lockerung dieses konkreten Bezugs findet die erinnerungspolitische Um- und Neubewertung des Familiennamens statt.

Zu kritisieren ist hier insbesondere das, was die Figur historischer Verantwortung explizit offeriert: die Möglichkeit einer souveränen Selbstverpflichtung, einer Verpflichtung also, die nicht vom Anderen ausgeht, sondern sich allererst vom Eigenen herleitet. Der Umgang mit der keineswegs bestrittenen Schuld erfolgt in dieser Logik als schlichte Verneinung ihrer Übertragbarkeit auf die Erben. Gerechtfertigt wird dies im Namen einer sinnvollen Zukunft, der von Staats wegen die destruktive Last des Vergangenen aufgeopfert werden soll. Der staatlich forcierte Normalisierungsanspruch betrifft somit ganz direkt die Form eines Gedenkens der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Opfer. Indem die historischen Schuldzusammenhänge in ihrer Verbindlichkeit außer Kraft gesetzt werden, geraten sukzessive auch die bestehenden Bezüge zwischen Gegenwärtigem und Vergangenem ins Abseits. Denn sorgfältig voneinander separiert und aus sicherer Distanz, so muss das Kalkül dieser Politik verstanden werden, lässt sich besser der Opfer deutscher Geschichte gedenken ? besser, das heißt vor allem ohne Konsequenz für das gegenwärtige Handeln. Diese Distanzierung von der Vergangenheit geht zu Lasten der Opfer. Damit aber wird in der Tat die im Konkreten stets unzureichende „Erinnerung der Shoa“ stillgestellt.

 

Sönke Hallmann