3. Januar 2005

Kultur: schlimm schlimm schlimm

 

Ein in kulturwissenschaftlichen Kreisen häufig aufgegriffenes Theorie-Bonmot ist Niklas Luhmanns Aussage, Kultur sei einer der schlimmsten Begriffe, die je geprägt wurden. Trotz dieses Unbehagens am Kultur-Begriff hat Luhmann jedoch in seinem Spätwerk zum Thema Kultur – das zuvor nur als gepflegte Semantik verhandelt wurde – einiges und vor allem äußerst Cleveres zu sagen gehabt. Die Anschlusskommunikation ließ nicht lange auf sich warten, und so entstanden zu Luhmanns Ausführungen zu Kultur als Gedächtnis und Vergleichsmechanismus auch bald gelungene Theorie-Weiterentwicklungen von Elena Esposito und vor allem von Dirk Baecker (beide haben auch für dieses Buch Beiträge verfasst).

 

Der vorliegende Band nähert sich dem Luhmann’schen Kultur-Konzept von verschiedensten Seiten: Konsum, Sterben, Bewusstsein (huch), Öffentlichkeit, Evolution. Und daran lässt sich erkennen, was Luhmann an Kultur nicht schmeckte: Man kann so ziemlich alles mit ihr machen. Denn eh man sich’s versieht, wird einem so ziemlich alles unter den Händen (bzw. beim Beobachten) zu Kultur. Kulturwissenschaftler können deswegen Seminare geben zu jedem beliebigen Thema und müssen sich nie Sorgen machen, dass es nicht Kultur wäre. Ist doch auch ganz schick. Jedenfalls hätte Luhmann da gar nicht so viel Berührungsängste haben müssen, denn erstens stellt sich Kultur für die Systemtheorie als ein extrem ergiebiges Forschungsgebiet heraus, zweitens passt Kultur der Systemtheorie fantastisch ins Konzept (Kontingenz! Kontingenz! Kontingenz!), und drittens ist ja das Tolle an der systemtheoretischen Kulturkonzeption, dass sie erklären kann, wieso plötzlich überall Kultur drin ist, wo es jahrhundertelang nicht draufstand.

 

Das Thema geht also schon mal klar, aber was wird draus gemacht? Hm, sagen wir mal, wenn dieser Theorie-Sampler eine CD wäre, würde man sich einfach nicht alle Songs auf Kassette aufnehmen, sondern eben nur die Hälfte. Nicht weil die andere Hälfte schlecht ist, sondern eher, weil teilweise einfach ohne Mehrwert. Wie etwa der solide, aber eben ein bisschen langweilige Beitrag von Andreas Reckwitz, der Luhmanns Kulturbegriff mit Bourdieu, Foucault und Co. vergleicht. Mit dem Ergebnis, dass bei Luhmann das Soziale außerhalb des Körpers und des Psychischen situiert ist. Na ja, komm, das war schon vorher klar. (Jedenfalls auf dieser Abstraktionsebene, wenn man sich’s komplizierter macht, kommt der Körper natürlich ins Spiel). Könnte man da nicht mehr draus machen? Man könnte etwa Luhmanns Konzept der Person als Kopplung von Bewusstsein und Kommunikation bemühen, um andere Theorien anzudocken. Oder mal durchspielen, ob man Habitus, auch wenn die Systemtheorie so einen Begriff sicherlich ein bisschen schmutzig findet, auch systemtheoretisch als Kopplung verstehen kann, und dann schauen, was passiert, wenn man ihn an verschiedenen Theoriestellen einfach mal anklebt. Und ganz generell: Theorievergleiche sind ja während des Studiums schöne Themen für Hausarbeiten, aber von so einem Theorie-Reader wünscht man sich eher spannende Anwendungen und Weiterentwicklungen. So was macht zum Beispiel Alois Hahn, wenn er gegen Luhmann Kultur als Medium des Bewusstseins versteht. Ob das überzeugt, weiß ich noch nicht, aber das ist doch mal ein Vorschlag, über den es sich nachdenken lässt.

 

Knackig und brauchbar sind die Beiträge von Cornelia Koppetsch zum Thema Öffentlichkeit und Kai Uwe Hellmann in Sachen Konsum. (Auch interessant, wie sich Urs Stäheli das Populäre denkt, leider kam ich jedoch nicht ganz mit. Kann mir mal jemand erklären, was die Außenseite einer Unterscheidung ist). Hellmann greift auch Luhmanns Gedanken zu Kultur als sozialem Gedächtnis auf. An der Stelle entgleitet mir jedoch auch dieser sonst gelungene Beitrag. Oder entgleitet er Hellmann? Im letzten Teil seines Aufsatzes konstruiert Hellmann ein Gedächtnis der Konsumkultur. Macht aber bei mir nicht klingeling, warum Kulturen, wenn man sie als Gedächtnis versteht, auch noch Gedächtnis haben sollen. Gedächtnis zum Quadrat? Man kann nicht alles verstehen.

 

Der Extra-Track von Luhmann, der bisher unveröffentlichte Beitrag „Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution“, ist ein zähes Biest. Ich nenne das mal order with statt from noise, also so eine Art frühe Touch & Go- oder AmRep-Sound. Denn die Lektüre brachte mich trotz strengster Ordnung nicht viel weiter. Während man aus Luhmanns Kultur-Aufsatz aus Gesellschaftsstruktur und Semantik trotz dessen Komplexität doch mit erheblichem kognitiven Gewinn aus der Lektüre kommt, steht man nach diesen 48 Seiten doch etwas überfordert und / oder unzufrieden da. Trotz meiner Unkenrufen zu einigen Artikeln, kann man einen zurzeit populären Topos aufgreifend sagen: „Da geht wohl was“, denn die Luhmann-Kultur-Kombi hat – ich setz noch mal einen drauf – high potential. In Stadtteilmagazinen, die neue Platten durch die Vergabe von Sternen beurteilen, würde diese Zusammenstellung auf jeden Fall mit zwei bis drei Sternen als hörenswert eingestuft werden.

 

Jens Kiefer

 

Günter Burkhart und Gunter Runkel (Hg.): Luhmann und die Kulturtheorie, Suhrkamp 2004, 12 Euro

 

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