29. Dezember 2004

Schiller als Medium

 

Wer es zu schätzen weiß, wie Rüdiger Safranski in der ZDF-Sendung „Das philosophische Quartett“ mit Karteikarten rumfuchtelnd die Diskussion zu strukturieren sucht, der wird auch Gefallen an seiner Schiller-Biografie finden. Wohltuend chronologisch, mit ausführlichen Kapitelüberschriften kämpft sich der Autor ordentlich und souverän durch das Leben des Genies, dessen 200. Todestag im nächsten Jahr zu feiern ist.

 

Dem Hang zur Präsentation des medientauglichen Autors ist der Hanser-Verlag bereits in der Cover-Gestaltung gerecht geworden. Nur weil der Name Safranski einen Buchstaben mehr hat als der Schillers, wirkt der rote Schriftzug des Biografen auf der Titelseite dann doch nicht bedeutender als der, von dem das Buch eigentlich handelt. Ein Umstand, den dieses Werk auch nicht ändern wird. Denn Safranskis Schiller-Buch reicht keineswegs an seine großartigen Biografien über Schopenhauer und Heidegger heran. Das mag daran liegen, dass das genuin philosophische Thema dem Autor mehr liegt als das literarische. Vielleicht liegt es aber auch an der Person Schiller selbst.

 

Gezeichnet durch seine Krankheit führte der Stubenhocker ein eher unaufregendes Leben. Das Zeitgeschehen kam per Post ins Studierzimmer des politisch ambitionierten Literaten, was leider auch Safranski daran hindert, es dem Leser so plakativ zu skizzieren, wie er es beispielsweise in seiner Beschreibung des sandigen Berlins in seiner Schopenhauer-Biografie vermochte. Darüber hinaus ist Schiller auch charakterlich zu glatt, um psychologisch interessant zu sein. Schrulligkeiten wie sie Heidegger und Misanthropien wie sie Schopenhauer auszeichneten, sind hier kaum zu finden. Interessant dagegen die grotesken Anhimmeleien seiner Jünger.

 

Der Titel heißt „Schiller oder die Erfindung des deutschen Idealismus“, inwiefern Schiller Anteil an dieser Erfindung hatte, bleibt nach vorliegender Darstellung allerdings mehr als fraglich. Safranski präsentiert Schiller als katalysatorisches Medium seiner Zeit. Philosophisch abhängig von Kant, verlegerisch von den großen Geistern seiner Zeit, wie Fichte, Hölderlin, Goethe und den Humboldts, ist Schiller zwar als gesellschaftliche Schlüsselfigur von Bedeutung, nicht aber als kreativer Denker und Literat.

 

Diese verzerrte Darstellung kommt dadurch zustande, dass Safranski das literarische beziehungsweise dramatische Werk Schillers weitgehend auf „Die Räuber“, den „Wallenstein“ und „Die Glocke“ beschränkt. Es ist daher auch kein Wunder, dass Safranski bei den spannenden, für den Autor sind das vor allem philosophische und politische, Themen zu allen möglichen anderen Denkern abschweift und nur mit Mühe den Weg zurück zu Schiller findet. Bei der Behandlung Schillers eigenständiger ästhetischer Theorie, hier vor allem die philosophischen Abhandlungen „Anmut und Würde“ und „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“, beschränkt sich Safranski auf Wiederholungen immer gleicher Thesen, die sie zumindest Laien auch nicht einsichtiger machen.

 

Am besten ist dem Autor vielleicht die banale Darstellung der so übermäßig gefeierten Freundschaft zwischen Schiller und Goethe gelungen. Von Freundschaft würde man heutzutage dabei ohnehin kaum sprechen, so unemotional das ablief. Aber wie die beiden, übrigens erst wenige Jahre vor Schillers tot „freundschaftlich“ vereint, über Fichtes sich setzendes Ich und die darum schwirrenden Nicht-Ichs lästern konnten oder sich einen Spaß daraus machten, ihre Kritiker hochzunehmen, bestätigt Safranskis Bild von Schiller als dialogischem Wesen. Dem Autor der Schiller-Biografie hätte der kritische Austausch allerdings auch gut getan. Einen davonpreschenden Sloterdijk mit Karteikarten zurückwinken, liegt ihm bei sachfremden Themen am meisten.

 

Gustav Mechlenburg

 

Rüdiger Safranski: "Schiller oder Die Erfindung des deutschen Idealismus". Hanser 2004. 560 Seiten 25,90 Euro

 

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