19. Dezember 2004

Mode – ein Desaster

 

Mode ist ein potenzielles Desaster. Auch für die, die nicht partizipieren wollen, läuft sie als ständige Hintergrundfolie mit, und selbst als Non-Styler besitzt man noch Style, eben den, keinen haben zu wollen. Und wer topmodisch wie alle anderen ist, ist auch wieder nicht in, weil Teil der Masse und Fashion-Victim. Deswegen empfiehlt Calvin Klein ja auch in nahezu systemtheoretischer Paradoxieverliebtheit, sich nicht zu sehr für Mode zu interessieren, um zu gewährleisten, modisch zu sein.

Kann uns die Systemtheorie helfen, die Kulisse des Prada-Gelabers und der Gucci-Muschis durchschaubarer zu machen? Sie kann es ein ganz kleines Bisschen. Jedenfalls wenn man keine Trendberatung erwartet und einem geholfen ist, wenn einem Vokabeln wie Ausdifferenzierung, Kontingenz und Beobachtungsebene zweiter Ordnung um die Ohren geworfen werden. Also Begrifflichkeiten, mit denen Luhmann bereits Liebe, Kunst, Massenmedien und so weiter durchbuchstabiert hat.

Espositos Buch über die Mode ist also wieder so ein Buch, bei dem man, schon bevor man es gelesen hat, in etwa weiß, was drin steht. Alles paradox, alles kontingent und alles eine Folge der Ausdifferenzierung. In Sachen Erklärungsmuster kommt die Systemtheorie also fast wie Psychoanalyse oder Marxismus mit einem dicken Masterplot daher, nur dass dieser erst mal einigermaßen unideologisch „Ausdifferenzierung“ heißt und tatsächlich verdächtig viel erklären kann.

Dass Esposito dabei an Luhmanns Ausführungen zum Thema Individualität anknüpft, um die Dialektik von durch Nachahmung erreichter Originalität zu beschreiben, ist nicht weiter verwunderlich und zudem sinnvoll. Dennoch ist die systemtheoretische Geilheit auf Semantiken und Differenzen ein wenig übertrieben. Denn neben Ausflügen zu Themen wie Fiktionalität, Allgemeines/Besonders oder das Gewühle in Barock-Quellen wünscht man sich natürlich auch was zur Rolle des Wirtschaftssystems bei der Entstehung der Mode oder Genaueres zu Kleidungsvorschriften der Vormoderne. Oder am allerliebsten ein paar sexy Bonmots zur zeitgenössischen Mode, die man mal locker fallen lassen kann, wenn man mal wieder nach Innenstadtstress sicher ist, nie wieder ein Bekleidungsgeschäft betreten zu wollen.

Ganz schlecht ist das Buch jedoch nicht, denn da steckt natürlich auch was massiv drin. Aber vielleicht am meisten eben für Systemtheorie-Fans, die auf semantische Umwälzungen stehen. Warten wir mal ab, bis es eine distinktionstheoretisch größere Arbeit zum Thema gibt, vielleicht macht die mehr Spaß.

 

Jens Kiefer

 

Elena Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode. Aus dem Italienischen von Alessandra Corti, Suhrkamp 2004

 

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