Der Lachlativ des Werwolfs
Was für ein Glück, dass beim Wechsel von einer Sprache in die andere die Konsequenzen, die einen bei der einen erwarten würden, nicht notwendigerweise gleich mit in die andere geschleppt werden. Wer also im Deutschen mit dem Kopf durch die Wand geht, sieht danach vermutlich nicht mehr genauso aus wie vorher (hierzu lese man auf Seite 194 in Franz Kafkas Tagebüchern 1910-23, Frankfurt 1981) und bleibt am Ende die Antwort auf die Frage schuldig, ob er ein Dickkopf war oder nicht. Wenn im Französischen der Erzähler Marcel Aymé seit nunmehr gut 60 Jahren seinen Helden durch die Wand gehen lässt, darf die Schädelumfangsfrage durchaus marginal bleiben, denn Léon Dutilleul kommt auf der anderen Seite ebenso unverletzt an wie Alice bei der Durchquerung des Spiegels. Ein Wunder ist also geschehen. Das Wunder der unerwarteten Kompensation.
Léon (im Film großartig bescheuert: Bouvril) darf sich zwar rühmen, mit einem Maler befreundet zu sein, der nicht auf die Nase gefallen ist, weil er seine Nase in alle Stile hineinsteckt, die das genauso zulassen wie später die Mauern, vor denen Léon steht – und insofern passen die beiden auch wirklich ganz gut zusammen –, aber Léon, ein einfacher Büroangestellter, hat ein Riesenproblem damit, dass ihn allein aufgrund seiner äußeren Erscheinung, seines etwas dümmlichen Gesichts, niemand richtig ernst nimmt. Leider ist er nicht so dumm, dass er das selbst nicht weiß. Aber wer nur zehn Minuten dieser wunderbaren Klamotte gesehen hat, weiß, dass er es einfach nicht anders hinkriegt. Im Büro wirkt seine Dummheit bloß frech, bei Frauen, na ja, das ist dann einfach nur noch tragisch. Natürlich verliebt sich Léon trotzdem, die Frau, Suzanne (Joan Greenwood), ist Angestellte in einem Hotel und darauf spezialisiert, nachts ein wenig auf Raubzug zu gehen und die Gäste, vornehmlich die Damen, um ihren Schmuck zu erleichtern. Parallel dazu macht Léon von seiner unübertragbaren Gabe, durch Wände zu gehen, Gebrauch und geht bald als Garou-Garou heldenhaft durch die Zeitungslandschaft. Inhaftierungen machen ihm gar nichts aus, denn wer durch Bankgebäude umweglos spaziert, für den ist eine Zelle bloß eine schwächliche Membran.
Wenn der Dieb gerade mal wieder sitzt, steht die Hälfte von Paris (die Frauen) vor den Gefängnistoren, um den Helden zu bewundern. Keine von seinen vermeintlichen Bewunderern erkennt ihn jedoch, als er auf seine Art erneut einen Freigang erschleicht und die sehnsüchtige Schlange passiert: Man sieht es den Leuten halt nicht an, was sie draufhaben. Außerdem will er ja auch nur eine Frau mit dem ganzen Medienzirkus beeindrucken: Seine kleine Diebin will einen Abenteurer? Sie ist, wie alle anderen auch, verrückt nach Garou-Garou? In der wunderbaren Cafészene mit Suzanne gibt sich Léon auf gar nicht dumme Art als der zu erkennen, den sie begehrt. Nur kostet ihn das mal wieder die Freiheit. Aber sie weiß jetzt Bescheid. Und heißt das jetzt mal wieder, dass es völlig egal ist, wie Männer aussehen? Das Gewicht der Wirklichkeit ist erdrückend. Anders gesagt: Mann, gib nie die Hoffnung auf.
Am Ende fliehen Léon und seine Freundin vor der Presse, die ihn als Garou-Garou erkannt hat, die beiden stehen zuletzt mit dem Kopf zur Wand, sie schafft es durch die Wand (oder bleibt sie stecken wie der Held in Aymés Erzählung?), er dagegen muss seinen Glauben verloren haben. Der Zauber gebrochen, allein die Wand steht noch
Dieter Wenk (12.04)
Jean Boyer, Garou-Garou, le passe muraille, Frankreich 1951