7. Dezember 2004

Geplänkel

 

Manche Ideen sind so gut, dass man sich fragt: Warum hat das niemand früher gemacht? Und manche Umsetzungen sind so mager, dass man sich denkt: Schade, dass jemand überhaupt so eine Idee hatte. Astrid Vits ist mit dem voluminösen Interview-Wälzer "Du und viele von deinen Freunden" das Kunststück gelungen, gleich beides zu erledigen.

 

Der Ansatz ist viel versprechend. Warum nicht in einer Zeit wie heute, in der mit Bands wie Mia, Wir sind Helden, Sportfreunde Stiller oder Virginia Jetzt! so viel deutsche Popmusik ein breites Publikum findet wie seit der Neuen Deutschen Welle nicht mehr, warum nicht in dieser Zeit über die Musik hinausblicken? Mit Interviews, die den Menschen hinter den Stücken Raum geben, sich zu präsentieren: mit ihren Ideen und Idealen, ihren Biografien und Ansichten. Mit alldem, wozu sonst meist der Platz fehlt. Im besten Fall könnte ein solches Buch zugleich Zustandsbeschreibung und Erklärung eines virulenten Phänomens werden. So wie Teipels Dokuroman "Verschwende deine Jugend" für die Neue Welle in Deutschland. Und vor allem wie das großartige "Please Kill Me" von Legs McNeil für den amerikanischen Punk.

 

Die Hamburger Autorin Vits hatte eben diesen Einfall und mit Schwarzkopf & Schwarzkopf sogar einen Verlag, der mutig genug war, das Projekt im nötigen Umfang zu unterstützen: 34 Interviews mit deutschen Bands und Musikern auf knapp 500 A4-Seiten. Das sollte reichen. Und es reicht tatsächlich. Ziemlich schnell sogar. Spätestens nach dem dritten oder vierten Interview wird klar: Astrid Vits verschenkt hier eine große Chance. Verschenkt sie mit einem falsch verstandenen Glauben an die Aussagekraft des Banalen und der Distanzlosigkeit des Fans.

 

Völlig unbegründet die Sorge ferngebliebener Bands wie Tocotronic oder Blumfeld, dass hier der grassierenden Deutschtümelei im Pop ein Forum geboten würde. Lange bevor die Gespräche politischen Boden erreichen, versinken sie im Treibsand der Plauderei oder werden ausgebremst von bewundernden Komplimenten.

 

Astrid Vits steuert die Gespräche nicht, sie hält sie lediglich in Bewegung. Das verschiebt die Verantwortung, Fleisch auf die dünnen Knochen der Fragen zu bekommen, auf die Interviewten selbst. Haben diese wenig zu sagen - wie etwa Olli Schulz, Finn oder Quarks - münden die akribisch transkribierten Unterhaltungen im Seichten.

 

Erst wenn Menschen mit Standpunkten wie der Berliner Indie-Dandy Jens Friebe oder Tomte-Urgestein Thees Uhlmann das Wort ergreifen, geht das Unterfangen ansatzweise auf. Dann schafft es "Du und viele von deinen Freunden", die Befindlichkeit von Popmusikern aus Deutschland greifbarer zu machen. Doch bis dahin muss man sich durch sehr, sehr viel handzahmes Geplänkel quälen.

 

Gregor Kessler

 

Das Buch enthält exklusive Interviews mit diesen Bands und Künstlern: Aus Augsburg: Nova International. Aus Berlin: Britta, Jens Friebe, Mia., Paula, Quarks, Tele, Virginia Jetzt!, Wir sind Helden, 2raumwohnung. Aus Dortmund: Astra Kid. Aus Hamburg: Bernd Begemann, Bernadette La Hengst, Finn., Niels Frevert, Kante, Kettcar, Knarf Rellöm, Mon)tag, Ocker, Olli Schulz & der Hund Marie, Sono, Spillsbury, Die Sterne, Tomte, Jan Plewka / Zinoba. Aus Köln: Angelika Express, Erdmöbel, Klee. Aus Lüneburg: Besser. Aus München: Lali Puna, Sportfreunde Stiller. Aus Münster: Samba. Aus Würzburg: Miles.

 

Astrid Vits: Du und viele von deinen Freunden, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2004, 480 Seiten, 24,90 €

 

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