29. November 2004

Alles nur gebastelt

 

Alles ist ordentlich mit der Nagelschere ausgeschnitten, sorgfältig Kante auf Kante geklebt, montiert, harmlos umgebogen und dem Original getreu nachempfunden.

Auf mehr als 100 Seiten des Bildbandes „Phototrophy“ von Thomas Demand entdeckt man Bastelarbeiten, die einem den Prittstift erschrocken in den Schoß sinken lassen.

Normalerweise reagiert man verärgert, wenn man sich getäuscht sieht. Wenn, wie in Kants Beispiel, das Schlagen der Nachtigall nur ein Bauernjunge mit einem Schilfrohr ist. „Es muss Natur sein, oder von uns dafür gehalten werden, damit wir an dem Schönen als einem solchen ein unmittelbares Interesse nehmen können.“ Wenn der Betrug auffliegt, ist sofort Schluss mit dem ästhetischen Glück. Bei Thomas Demand beginnt hier die Attraktion. Nach kurzer Zeit hat man verstanden, dass das nicht echt sein kann, was auf den Fotos zu sehen ist.

Es geht nicht vorrangig um die mutwillige Täuschung des Betrachters. Es geht um die Wirklichkeit, und dass sie nicht zu handhaben ist. Demand baut deshalb Modelle von der so genannten Realität aus Papier. Sie sind leichter zu handhaben, klar und übersichtlich: Tunnel, Fenster, Copyshops, Umkleidekabinen, Rasen, eine Terrasse, Balkone, Parkgaragen, Scheunen und Fabriken. Oft sind Pressefotos Vorlagen für seine Modelle. Beispielsweise die Hotelbadewanne von Herrn Barschel aus Pappe und Papier.

Dann macht Thomas Demand ein Foto von diesem Modell. Ist das nun Verkleinerungstechnik, um Herrschaft über die Welt zu gewinnen? Alles liegt demnach in der Hand des bastelnden Fotografen. Oder ist es heilsame Entfremdung von der Welt? Das Foto wäre dann eine eigene Welt. Bedeutet es Aneignung oder Verlust der Aura? Mit Sicherheit sind es informierte Gegenstände.

Thomas Demand ist 40 Jahre alt. Er kennt die Machbarkeitsfantasien der 70er und 80er Jahre. Er kennt die verschwenderische Energiewirtschaft, zum Beispiel Nachtspeicherheizungen. Mit Wärme wird Strom produziert, damit wird die Heizung beliefert, die aus der Elektrizität wieder Wärme macht. Dass bei diesen Umwandlungen und Rückverwandlungen ständig Energie verloren geht, ist mittlerweile ein großes Ärgernis. Glücklicherweise gibt es Thomas Demand. Einen hervorragenden Fotografen solcher Verluste.

Thomas Demand ist die Nachtspeicherheizung der Fotokünstler. Bei den Fotos kann man nämlich ähnliche Umwandlungen vom Gleichen ins Gleiche beobachten. Das Foto eines öffentlichen Ortes wird Vorlage für das Pappmodell, von dem wieder ein Foto gemacht wird.

Bei Thomas Demand meint man, es mit Wirklichkeit zu tun zu haben, nur ist im Verlauf der Umwandlungen die menschlich angeschmutzte, lauwarme Tatsächlichkeit verloren gegangen.

Die Fotos zeigen keimfreie, menschenleere Tatorte. Die Titel sind schlicht. „Badezimmer“, „Parkgarage“, „Wand“ heißen die Bilder. Keinerlei Abnutzungsspuren kann man in den fotografierten Räumen finden. Kein Drama. Das wird beim Betrachten immer unheimlicher, denn war da nicht ein Unglück passiert? Man erinnert sich dunkel und weiß nicht, was genau fehlt, außer Dreck. Ein großes Ärgernis.

„Phototrophy“ ist großformatig und hervorragend gedruckt. Es ist die Beute, die in penibel ausgeleuchteten Papiermodellen zu schießen ist. Im Gegensatz zu Photoshop-Manipulationen, mit denen man die schönste Realität suggeriert, ist hier gar nichts manipuliert. Es ist nichts, nur Papier, es ist alles nur gebastelt.

Und man schaudert vor der simplen Abbildung. „Menschen machen Fotos von dem Sommer, um zu Beweisen, dass er wirklich da war“, sangen die Goldenen Zitronen, und dass man sich hüten soll vor solchen Suggestionen. Fotos sind der Bauernjunge mit dem Schilfrohr, echter als jede Nachtigall. Bei Demand wird das klar. Die Utopie der Wiedererkennung wird abgestoppt im Papphäuschen.

Es bleibt die generelle Frage, ob man hier von Bildern oder deren Interpretationen verfolgt wird. Demands Fotos irritieren die nahe liegende Interpretation und Identifikation der Objekte, indem sie die Gemachtheit der Modelle preisgegeben. Die Simulation von Wirklichkeit ist unterbrochen. Die Erinnerung des Betrachters weiß mehr. Man ist ertappt als Mediensklave, als Wiedererkenner und schlägt unsanft in den eigenen Idiosynkrasien auf. Es sind Fahndungsfotos subjektiver Erinnerungen.

Diese Räume gibt es nicht. Die Modelle werden nicht gezeigt, nur die Fotos. Aber an ihren Vorbildern, den historischen Orten, hat etwas stattgefunden. Und man kann Thomas Demand keinen Vorwurf machen. Er gibt nicht vor, fremde Empfindungen zu verstehen, noch drängt er einem seine Wahrnehmung auf, es sind Fotos exakter Modelle, von Fotos, die man kennt ohne private Zusätze. Die Beute, die Thomas Demand präsentiert, ist unschuldig, der psychische Effekt beim Betrachter ist Verzweiflung, weil man offensichtlich an die wirkliche Wirklichkeit nie herankommt. Aber basteln hilft, und man sollte sich besser vorsehen, wenn man über die Modelleisenbahn seines Nachbarn spottet.

 

Nora Sdun

Frankfurter allgemeine Sonntagszeitung vom 28. 11. 04

 

Thomas Demand: Phototrophy, Schimer und Mosel 2004, 182 Seiten, 58 €

 

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