29. November 2004

Rom als Desaster

 

Bei Romanen, die auf mehreren gleichberechtigten Ebenen spielen, hat man seine liebe Not, die Geschichten zu sortieren. „Eine Liebe am Tiber“ handelt seinem Titel zum Trotz gleich von mehreren Lieben zu unterschiedlichen Zeiten, an die der Erzähler sich zurückerinnert. Die erste Liebe ist die des Icherzählers selbst. Im Verschlag unter der Treppe erlebt Sebastian die Übergriffe der Chauffeurstochter, und ziemlich verdattert beschreibt er auch sonst noch alles andere, was er in Rom Ende der 60er Jahre zu sehen bekommt. Damit hat man dann auch die Brücke geschlagen zu den anderen Hauptebenen des Romans. Denn so rätselhaft die Lieben und Leben seiner Eltern dem Erzähler auch sind, schildern kann er sie doch.

 

Die Mutter liebt einen jungen Anarchisten. Die Hatz auf Kommunisten ist in vollem Gange. Luca heißt er, und sie lässt sich von einem anderen Mann, der sie begehrt, zum Gefängnis bringen, in dem der „Übeltäter“ sitzt. Mit der Zeit wird sie krank. Ihr Gatte nennt sie zwar „Feelein“, ist ansonsten aber unaufmerksam. Der wegen seiner Unachtsamkeit viel gehörnte Vater ist ehemaliger Pilot der Wehrmacht, von Kreisen der italienischen Rechten verehrt, aber völlig absorbiert von seiner Leidenschaft fürs Altertum, samt Rilke, Winkelmann und Goethe, aber auch mit genug krimineller Energie ausgestattet, um sich mit Raub und Übervorteilung in Schulden versunken als Lehrer einer Deutschen Schule unmöglich zu machen, sodass er schließlich das Land verlassen muss.

 

In Deutschland wohnt er später im Wohnwagen, seine Frau liegt nach Aufenthalt in der Irrenanstalt tot im Tiber. Sein Sohn bricht mit ihm, er hält den Vater für einen Idioten. Die Schwester verteidigt den Vater noch. Es nützt wenig, auch er bringt sich um.

 

Der Roman spielt größtenteils in Rom. Auf der Innenseite des Schutzumschlages kann man auf einem Plan die Touren der Menschen verfolgen, die sie – getrieben von ihren Obsessionen – durch die Stadt zurücklegen. Dafür kann man natürlich auch jeden anderen Stadtplan benutzen. Wichtig ist die Vogelperspektive.

 

Chauffeurswesen ist das Stichwort. Der Vater fliegt Nachschub für die deutsche Wehrmacht. Die Mutter wird zu ihrem Geliebten chauffiert, von dem, der ihn an die Staatsgewalt verriet. Der Sohn liebt die Chauffeurstochter. Rom ist für die Familie ein einziges Desaster, aber aus der Vogelschau sind die Verzwirbelungen von adeligem Verehrer, kommunistischen Bombenlegern, dubiosen Kameraden, singenden Schustern und schnatternden Nachbarinnen ganz wunderbar. Der Dolce-Vita-Klischeeproduktion wird nirgends Einhalt geboten, aber die Szenen sind rasant, springen durch die Stadt, unter die Treppe, nach Mitteldeutschland, zu hysterischen Lehrerinnen und wieder zurück durch die Zeit nach Italien, auf ein Grabungsfeld mit geknebeltem Wächter.

 

Die Dialoge sind komisch. Und die verschiedenen Ebenen des Romans spielen ineinander über und durcheinander hindurch. Jan Koneffke hat einen rasend plappernden und trällernden Roman geschrieben, mit einem Debakel zum Inhalt.

 

Gustav Mechlenburg

 

Jan Koneffke: Eine Liebe am Tiber, DuMont 2004, 314 Seiten, 19,90 €

 

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