28. November 2004

Der Schnitt stand ihr gut

 

Was ist das Gemeinsame eines Besuchs bei einem Frisör und einem Seelenklempner? Sie kosten genauso viel. Was ist der Unterschied? Die anderen merken etwas, wenn man beim Frisör war. Außerdem: Jeder kennt das eigenhändig eben leider nicht erzielbare grandiose Gefühl einer Kopfmassage beim Shampooing. Beim Frisör fängt es gut an, und enden tut es noch viel besser (vergisst man einfach mal den Preis): Sofort verliebt man sich wieder in sich selbst. Und dann erst die anderen. Rattenfänger weltweit. Das ist doch prima.

 

Dieses Buch spielt im schönen Glockenbachviertel in München und der Leser darf dem Frisörgenie Tomas Prinz bei der Arbeit zusehen. Nur wenige bedient er selbst, der Mann, gleichzeitig der dann doch sehr bescheiden auftretende Icherzähler, hat auch sonst noch viel zu tun, Joggen, Familienpflege, Liebe (er hat einen russischen Freund mit isländischen Wurzeln), Festivitäten. Aber am meisten macht ihm auf diesen Seiten ein Mord an einer seiner besten und treuesten Kundinnen zu schaffen: Kaum hat Tomas Prinz der Vamp-Redakteurin Alexandra Kaspari die todschicke Frisur verpasst, liegt sie auch schon flach, erst kleiner, dann großer Tod. Eine gewisse Ambivalenz am Tatort ist auffällig: Auf der einen Seite lässt die Tötung nicht an Brutalität zu wünschen übrig (vielleicht hat der Mörder zu viel Trotzki gelesen und nicht verstanden, und mit der Wut im Bauch…), andererseits scheint der Mörder ein gewisses emotionales Verhältnis zu seinem Opfer gehabt zu haben, denn die frisch geschnittene Frau liegt da wie bei einer Heiligenverehrung. Heilige? Hure? Das ist ja oft ganz dicht beisammen, genauso wie Schmerz und Lust, so sagt man es jedenfalls. Natürlich hat niemand so gute Kontakte wie ein Frisör, vor allem wenn er Tomas Prinz heißt. Das weiß freilich auch die Polizei, die sich anfangs an ihm beinah festbeißt. Nützen tut es ihr nicht. Keiner hat eine Ahnung, einige einen Verdacht, niemand einen Beweis. Immerhin bündelt sich das Wichtigste im Salon und nicht in der Eppstraße, wo die Polizei wohnt. Alexandra Kaspari scheint viel Geld gebraucht zu haben. Aufwändiges Leben (allein die Frisörtermine), medizinische Optimalversorgung ihres behinderten Sohnes, das alles frisst Geld, und selbst ein Redakteur ist kein Fußballspieler. Vielleicht war sie bestechlich, hat ein bisschen mehr eingesteckt als auf dem Beauty-Terrain eh üblich? Oder stand sie einer ehrgeizigen Kollegin im Weg?

 

Vielen Personen begegnet der Leser (Sozialstudie!). Der Autor nimmt sie alle gleich Ernst. Das ist das Erfreuliche an dem Buch. Und zugleich sein Problem. Sicher, mit 250 Seiten ist der Roman nicht allzu dick. Er ist flüssig geschrieben – mit der Zeit wird man aber noch ein  anderes Wort benutzen: korrekt, nicht im Sinne von politischer Korrektheit (was es auch ist, aber darauf kommt es nicht an), sondern von: Erfüllung. „Der Frisör“ ist so unglaublich brav und bieder, irgendwie. Man sieht ihn schon als Vorabendfilm. Diese Nettigkeit, die es in München gibt, nicht aber in Hamburg oder Berlin. Diese Stimmigkeit in der Beschreibung. Eine solch lückenlose Erfüllungsperformanz lässt einen an die Erwartungserwartungen von Literaturwettbewerben denken, der „open mike“ 2002 hat es Christian Schünemann jedenfalls gedankt (der Autor ist übrigens ein kongenialer Vorleser seiner selbst). Die Schwäche des Buchs ist also der fehlende Spannungsbogen, und etwas Punk hätte dem Buch vielleicht auch nicht geschadet.

Wir empfehlen als Ergänzung des gediegen-perfekten Schnitts die brutale Zementmaschine aus Wolfgang Bauers wunderbar blödsinnigem Stück „Ein fröhlicher Morgen beim Frisör“.

 

Dieter Wenk (11.04)

 

Christian Schünemann, Der Frisör. Roman, Zürich 2004 (Diogenes)

 

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