26. November 2004

Die Aufgabe des Killers

 

Wenn man während seiner Arbeit das Privileg hat, den Ton anzugeben, mag es ganz reizvoll sein, während der so genannten freien Zeit sich bespielen zu lassen. Modulationen, neue Intervalle, Registerwechsel. Der Komponist oder Arrangeur ist ein anderer, aber ohne einen selbst würde es nicht gehen. Selbst wenn man nur ein kleiner Bauer ist. David (Christophe Malavoy) hat sich ganz auf die Musik kapriziert. Vor einem Jahr hat er auch noch Französischunterricht erteilt, aber seitdem gibt er nur noch privat Gitarrenstunden. Er wohnt in einer Art Dachatelier, das verflossene Spiegelei klaubt er mit einem Stück Schokolade auf. Boheme also. Trenchcoat und Turnschuh, Schubert und große Gelassenheit.

 

Die Großbourgeoisie wartet mit anderen Raffinessen. Vivienne (Anaïs Jeanneret) ist Davids neue Schülerin. Sie schläft schon mit ihrem Freund oder wie auf Bildern von Balthus. Die Gitarrenstunden verlaufen aber immer ganz brav und korrekt. Wie sein Namenspatron ist David allseits beliebt. Natürlich sieht er gut aus, keineswegs ist er eitel, der Zug kommt von außen. Julie Thombstay (Nicole Garcia), die Mutter Viviennes, verzichtet dabei ganz aufs Vorspiel. Wie Bathseba, aber David lässt es zu. Arglos. Von einer Sinnlichkeit zur anderen. Die neue Nachbarin der Thombstays, Edwige (Anémone), ist etwas seltsam, aber unglaublich unterhaltsam. Reiches verkorkstes Innenleben wegen Behinderung? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Viviennes Vater (Michel Piccoli) wirkt erst mal diskret, weiß aber sofort, welche Musik gespielt wird. Die Attacke gegen David kommt also gar nicht von einer ja auch gar nicht verschmähten Liebhaberin, sondern aus dem Dunkel. Aber in diesem Film ist immer einer zu viel. Der Räuber wird überrascht – von einem Killer (Richard Bohringer), der David wenn nicht das Leben so doch seine kostbare Hand rettet, auf die es der Räuber womöglich auch noch abgesehen hatte. Die Tochter ist auf die Mutter eifersüchtig, der Gatte auf seine Frau, nur die Lust der Mutter scheint reine Hingabe.

 

Der Killer wird Davids Freund und öffnet ihm die Augen. Warf Julie Thombstay sich ihm nicht ein bisschen zu schnell an den Hals? Zu was ist diese ganz und gar enthemmte Frau fähig? Liebesstau im eigenen Haus, der zu Hass wird? Der Killer soll ausgerechnet ihren Mann beseitigen und einen angeblich wertvollen Gegenstand mitnehmen. Plötzlich tauchen Videos auf, die unangenehme Essentials und Details zeigen. Alle Welt geht auf einmal mit einem Videogerät durch diese kleine Welt. Etwas später wohnt David schon in einem einsam gelegenen Haus. Außerdem hat er mal wieder seine Eltern getroffen, die wahnsinnig sympathisch sind, auch wenn sein Vater gefährliche Sachen bastelt. Granaten, die entschieden die Bum-Bum-Phase hinter sich gelassen und den „Nib-Nib“-Status erreicht haben, von dem einmal ein alter General in einem Buch von Octave Mirbeau versonnen träumte. Nirwana des organischen Körpers.

 

Dann platzt ein Rendezvous. Graham Thombstay hat wider Erwarten das Haus nicht verlassen. Das erwartete Schäferstündchen zieht sich zusammen in eine unangenehme Schrecksekunde für David. Am Ende gibt es zwar wie verlangt den Toten, aber wer war der Täter? Das Schöne an diesem Krimi ist, dass man keinen Polizisten sieht. Die Verhältnisse biegen sich scheinbar ganz von alleine zurecht, also in dem Sinne, dass das Prinzip „einer zu viel“ sich wie von selbst löst. Der Film schildert den raffinierten Prozess einer Bereinigung, und ganz zum Schluss steht, ohne unangenehme Rückstände, einfach nur ein schönes Paar. Unbedingt sehen.

 

Dieter Wenk (11.04)

 

Michel Deville, Gefahr im Verzug (Péril en la demeure), Frankreich 1984

1986 „César“ für die beste Regie