21. November 2004

Bulgarien – Rumänien 0:0

 

Einmal im Jahr fordert die „Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur“ zu einer „Deutschen Reise nach Plovdiv“ in Bulgarien auf. Den Schriftsteller Uwe Kolbe hat der dortige Aufenthalt im Jahr 2002 zu einer wunderschönen kleinen Kriminalgeschichte, „Der Tote von Belintasch“, inspiriert. Im vergangenen Jahr hat der 1951 im österreichischen Wels geborene, in Rumänien aufgewachsene und 1987 nach Deutschland übergesiedelte Johann Lippet das „Blaue Haus“ in Plovdiv für einen Monat bezogen. Anders als Kolbe legt Lippet ein Tagebuch vor: Abfahrt von Heidelberg, Zwischenstation in Sofia, Ankunft am Zielort. Für den Autor – und damit auch für den Leser – bedeutet der Aufenthalt eine doppelte Reise in die Vergangenheit: zum einen, weil Bulgarien nach wie vor europäisches Entwicklungsgebiet ist, zum anderen, weil Lippet seine eigene Vergangenheit im rumänischen Großsanktnikolaus einholt.

 

Dabei weiß er sehr genau, dass er seine sich ganz unwillkürlich einstellenden Vergleiche am besten für sich behält, weil Bulgaren und Rumänen es gar nicht mögen, von anderen immer in einem Atemzug genannt zu werden. Für den distanzierten und unbefangenen Leser sind diese Vergleiche natürlich ganz interessant, nicht zuletzt, weil dieser den Autor immer wieder dabei ertappen kann, wie er vergleicht, obwohl er das ja eigentlich sein lassen wollte. Lippet bezieht also ein Zimmer ohne Fernseher (später bekommt er ein Gerät mit Zimmerantenne, mit dem er zwei Programme empfangen kann), es riecht ein bisschen muffig bei seiner Ankunft, er schließt schnell Freundschaft mit einem Hund, die Katze ist auch gleich da, und bald läuft auch schon eine Schildkröte über den Hof. Beim offiziellen Geldtauschen wird er ein klein wenig betrogen (was ihn nicht entrüstet, aber doch ärgert), Gespräche, die er in Cafés oder in Parks mitbekommt, klopft er auf für ihn verständliche Brocken ab. Er findet ein Internet-Café, dessen Dienste, wie sich später herausstellt, dann doch irgendwie versagt haben, und betrachtet Kinder im Grundschulalter, die souverän mit der Tastatur umgehen können.

 

Einmal nimmt man ihn mit zu einem Treffen des Schriftstellerverbands, aber er geht vorzeitig wieder weg, Kleinkram und Eitelkeiten. Ein paar Tage später beginnt ein Theaterfestival, Lippet schaut sich einen von russischen Schauspielern aufgeführten Shakespeare an, ist ganz angetan. So vergeht zwischen Spazieren gehen, Café trinken, Tagebuch schreiben und anderen marginalen Dingen die Zeit. Für die Zeit des Lesens, eine gute Stunde, glaubt man, ein wenig mit eingetaucht zu sein in diese gegenwärtige Vergangenheit, die einen nicht unbedingt fasziniert, aber vielleicht doch etwas wehmütig stimmt, nicht zuletzt wegen manch interessanter balkanesischer Namen, die der Autor gerne nennt.

Die Reihe „Deutsche Reise nach Plovdiv“ erscheint im Verlag Das Wunderhorn – in einer schönen Edition.

 

Dieter Wenk (11.04)

 

Johann Lippet, Kapana, im Labyrinth, Heidelberg 2004 (Wunderhorn)

 

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