18. November 2004

Pierrot auf Long Island

 

Wenn man sich auf die Suche nach seinem Vater macht und ihn schließlich findet, muss man auf Überraschungen gefasst sein. Vielleicht ist er nur ein aus dem Käfig entflohener Oberpapagei, der die Lektion aus „Fahrenheit 451“ gelernt hat. Die Lektion besteht darin, dass man sie immer wiederholen muss, nachdem man sie beendet hat, denn sonst würde man sie vergessen. Anwenden kann man die Lektion dann allerdings nicht mehr. Aber vielleicht ist die Bootsszene nur der letzte der skurrilen Momente dieses an skurrilen Personen reichen Films. Ein Mann, Bill, der von seiner Freundin nicht im Bett betrogen wird, sondern abwechslungshalber bei einem Überfall. Dennis, der jüngere Bruder des betrogenen Betrügers, der philosophische Aufklärung eher von seinem Vater erwartet als von seinem Studium. Ein angeblicher Topterrorist, der Vater der beiden, als Football-Nationalheld. Manches Skurrile geht ins Abstruse oder Slapstickhafte, so die Nonne, die aus dem Nonnenschema fällt. Schöne junge Frauen als Novizinnen gehen der Welt verloren oder leiden an Epilepsie, was sie so geheimnisvoll macht.

 

Skurriles kann auch in Tragik übergehen, aber wer kennt das nicht, das Motorrad bockt, und schon geht die Welt unter. Oder der Polizist, der, statt Fragen zu stellen, ungefragt sich als Versager outet und dann doch Glück hat, den Fisch zu fangen, nach dem er gar nicht geangelt hat. Manches wirkt ein bisschen wie bei Jacques Rivette, zum Beispiel die „Verfolgungsjagd“ zwischen Dennis (Bill Sage) und der Epileptikerin (Elina Löwensohn). Reiner augenblickshafter Zauber ohne Anschluss. Wenn ein Bogen lang gespannt wird, kann man schon fast sicher sein, dass er nicht hält, was er verspricht, so die Szene mit Jack (Joe Stevens), der die ganze Zeit schon um das Haus seiner Ex-Frau Kate (Karen Sillas) zieht, aber man hat es eben nicht mit einem David-Lynch-Film zu tun. Jack ist kein Monster, sondern nur ein armer Schlucker, dem kalt um die Schultern ist. Bei all dem vergisst man leicht, dass „Simple Men“ ein Liebesfilm ist, der leider „schlecht“ endet, dadurch aber zeigt, dass die Liebe echt ist. Wenn Bill, aufgebaut wie ein Westernheld, am Bootssteg vor seinem Vater steht und man erleichtert feststellt, dass nun auch dieses Genre als Portion gereicht wird, glaubt man tatsächlich, dass gleich die Pistolen gezogen werden, so sehr haben sich solche Bilder verselbstständigt. Aber das war’s dann auch schon vom Showdown, Bill zieht gleich wieder ab und legt die letzte Strecke seines Road-Movies zurück, zurück zu seiner zwei Tage alten Liebe Kate, die aber nicht allein ist, denn die Polizei ist auch schon da. Den Möchtegernverführer haben wie Valmont die eigenen Gefühle überwältigt, und am Ende steht mal wieder die alte Wahrheit, Frauen wollen überzeugt, Männer müssen verführt werden.

 

Mit das Schönste an „Simple Men“ sind die musikalischen Einlagen, die die Melancholie mit Gitarrenklängen auf die Zerreißprobe stellen. Und so gut wie hier Dennis und Elina tanzen erst wieder John Travolta und seine drogenbeschwerte Partnerin in „Pulp Fiction“.

 

Dieter Wenk (11.04)

 

Hal Hartley, Simple Men, USA 1992