14. November 2004

Familienbande

 

Es ist doch nur Liebe, die dahinter steckt. Die Liebe zur Familie, die Liebe zum Vaterland und, na klar, auch ein bisschen die Liebe zum Geld. Das einzige, was die Leute unterscheidet, ist, dass die auf den oberen Rängen ein paar Dinge mehr manövrieren können. Eine mächtige Frau hat einen mächtigen Mann, der noch mächtiger werden kann, aber leider auf dem Weg dahin stirbt. Gott sei dank hat die Frau einen Sohn. Sie liebt ihn abgöttisch. Er ist erst zwanzig und will lieber mit einer anderen Frau schlafen. Er ist auch nicht so richtig ehrgeizig. Aber die Liebe von Müttern ist das Größte, was es auf der Welt gibt. Sie tun alles für ihre Liebe. Das vorgeburtliche präparierte Klavier ist nur der Anfang. Man muss Françoise Dolto dafür dankbar sein, dass sie die erste war, mit dem Infans wie mit Erwachsenen zu sprechen. Das ließ sich weiter radikalisieren in Form musikalischer und sensorischer Bauchpinseleien. Was macht man aber, wenn das Kind Maler werden soll? Synästhesie? Oder Berufsziel Politiker? „Ich aber beschloss, dass mein Sohn Präsident werden soll.“ Man müsste so was mal systematisch testen.

 

Jonathan Demme hält es also mit der genetischen Sonde. Das hört sich erst mal sehr modern an, aber zuletzt ist es doch ein fataler Rückfall in die Aufbruchsstimmung der kybernetischen Hochzeit der 50er Jahre. Fernlenkung, remote control, ich drücke auf einen Knopf, und dann weiß ich genau, was du machst. Etwas mehr als diese triviale Maschine wollten doch selbst die Kybernetiker. Und kann man sich vorstellen, dass Mütter ihren Sohn noch lieben, wenn sie von ihm einen robotischen Kuss verpasst bekommen? Selbst wenn er mittlerweile Präsident geworden ist? Aus dem „Schweigen der Lämmer“ erfuhr man schon den psychologischen Trick, dass die (häufige) Nennung des Namens ein intimes Verhältnis zwischen dem angesteuerten Empfänger und einer dritten Person aufzubauen vermag. Nennen heißt Zähmen. In dem jetzigen Politthriller wirft die Nennung des Namens nur noch ein Programm an, das dann automatisch abläuft. „Kill Bill“ oder so.

 

Für dieses Forschungsprogramm ist ein fieser südafrikanischer Wissenschaftler mit einem genialen Namen und einer Fresse wie Roman Polanski zuständig. Der gute Wissenschaftler wird von Bruno Ganz gespielt, der seine Mimesis an das deutsche Grauen dadurch wieder wettgemacht hat. (Niemand lacht so nett wie Bruno Ganz, weder Österreicher noch Deutscher, sondern Schweizer. „Kniebolo“ steht ihm einfach nicht. – Bei Ulrich Matthes übrigens die gleiche Kehrtwende, erst Goebbbels, dann ein Priester.) Schön die Idee, die alles andere als bloß nokturnen Alpträume Denzel Washingtons in Form eines „Stirnmals“ auf dem Gesicht der hübschen Verkäuferin zu visualisieren (die dadurch gleichermaßen eine vorweggenommene Promotion in Richtung intellektueller FBI-Agentin erfährt) und mit der fantasierten Kopfwunde zugleich die fatale Tat im irakischen Camp vorwegzunehmen, die ja im Grunde, Wissenschaft verpflichtet, vergessen werden sollte. Aber das erfahrene Grauen der Krieger lässt sich nicht so leicht therapieren, sei die Urszene nun simuliert oder nicht. Die Träume scheinen immer noch der Königsweg zur Wahrheit, und das, was sich also ganz tief im Inneren verbirgt, was befreit werden muss, ist auch einem Politiker zuzumuten. Mütter, wie gesagt, haben andere Vorlieben, andere Bilder von sich und ihrem Liebsten. Das zeigt Meryl Streep mit einer faszinierenden Konsequenz, und wegen ihr, Meryl Streep, und Brunos Lächeln lohnt es dann doch, den Film zu sehen. Der Rest ist altmodisches Remake, so aktuell das Setting auch sein mag.

 

Dieter Wenk (11.04)

 

Jonathan Demme, Der Manchurian Kandidat, USA 2004