1. November 2004

Der Investigator

 

Kritik der kritischen Kritik

Liest man die Besprechung, die sich Martin Seel in der Zeit Nr. 4 vom 15. 01. 2004 einfallen ließ, bekommt man ein falsches Bild von diesem Buch. Christian Demand wird als Hegelianer geoutet und sein Arbeitsverfahren kritisiert. Dem Autor wird unterstellt, er gehe mit falschen Voraussetzungen ans Werk: Er wäre entweder der neueren Kunst nicht freundlich gesonnen (was eine zum Himmel schreiende Frechheit ist. Wie kann man sich mit etwas beschäftigen, das man nicht liebt?) oder der Autor wäre schlicht ratlos, weil er auf das falsche Pferd gesetzt hätte, wider besseres Wissen.

Ist Christian Demand ein Desperado?

 

Fair Play

Mitnichten. Da, wo Seel noch zu erklären versucht, warum es keine verbindlichen Normen zur Beurteilung der Kunst mehr geben kann und alles laufend in öffentlicher Diskussion neu verhandelt werden muss, verfehlt er die Argumentation der Studie längst. Denn der Demand führt uns gerade vor, wie langsam, aber stetig der öffentliche Kunstdiskurs in ein Spiel umgewandelt wurde, das da heißt: die Beschämung der Philister. Wenn es keine gleiche Augenhöhe mehr gibt, gibt es nur noch Pseudodiskussionen zwischen Pseudokritikern, die sich um Pseudotheorien streiten und Pseudourteile an das ach so interessierte Publikum weiterreichen.

 

Vom Gebrauch der Philosophie

Von Hegels Ende der Kunst bis zu den letzten Bildern von Ad Reinhard werden Kunsttheorien auf die Stichhaltigkeit ihrer philosophischen Ansätze untersucht. Dabei wird tonnenweise Unwahres, Unseriöses, Unsittliches, Unsinniges, Unüberlegtes, Unbedachtes, Unbegreifliches, Unausgegorenes, Unverstandenes, Undenkbares, Unlogisches und unbeschreiblich blödes Zeug an die Oberfläche befördert aus den Untiefen der vergangenen Kunstdiskurse. Eine der Ursachen für die Verfehlungen der Kunsttheorie sieht Christian Demand im Festhalten an den Kategorien von Fortschritt und Wahrheit, die schon im Anschluss an Hegel obsolet geworden sind. Seitdem sich die Philosophie von dem Anspruch auf Letztbegründung und unbescheidene Systementwürfe verabschiedet hat, wird sie nicht mehr als ein sich entfaltendes Progressionsgeschehen verstanden. Nicht so die Kunsttheorie, was ihr eindeutig fehlt, ist die Unselbstverständlichkeit der heutigen Philosophie.

 

Haben und Nicht-Soll

Haben. Wir haben auf jeden Fall nach diesem Leseerlebnis die innere Befriedigung, dass wir nicht die Einzigen sind, die Katalogtexte, Begleitbroschüren, Zeitungsrezensionen, Feuilletons, Fachzeitschriftenartikel, Retrospektiven, Dankesreden, Eröffnungsreden, Künstler- und Kuratorengespräche zum schreien dumm finden und unter Niveau. Was wir mit diesem Buch zu lesen bekommen, ist ein Stück investigativer Kunsttheorie, die sachlich und nicht ohne Ironie, die Mechanismen des Kunstbetriebs aufzudecken versucht.

Nicht-Soll. Dass es nicht darum geht, eine Lösung anzubieten, an welchen Normen man Kunst zu beurteilen hat, versteht man schon nach der Einleitung. So enttäuscht das Buch nur falsche Erwartungen, als Enthüllungsroman funktioniert es hervorragend.

 

Karol Potrykus

 

Christian Demand: Die Beschämung der Philister. Wie die Kunst sich der Kritik entledigte. 2003 zu Klampen Verlag

 

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