14. Oktober 2004

Die fünf vom Hotel Adlon

 

Das ist schon sehr prächtig. Jung-Wien im neuesten Berlin. Benjamin von Stuckrad-Barre als popkultureller Hugo von Hofmannsthal, Alexander von Schönburg als Leopold von Andrian, Christian Kracht als Hermann Bahr, Eckhart Nickel als Dr. Schnitzler und Joachim Bessing als, warum nicht, Oscar Wilde, den sie damals alle verehrten. Drei Tage lang wird im Hotel Adlon, unweit des Brandenburger Tors, tristesse royale gefeiert. Es herrscht der ennui des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts. Man schreibt das Jahr 1999. Es wird fein konversiert, und es wird eigentlich nichts ausgelassen (man konsultiere dazu das ausführliche Namens- und Sachregister).

 

Die Problemlage heute bei den fünf Herrschaften ist die gleiche wie die um 1900 in Wien. Die Haltung ist ästhetizistisch (Stichwort Marken), am Ende soll eine neue Ethik stehen. Die gibt es natürlich nicht. Vielmehr wird das Ästhetentum verstärkt. Am Ende steht der Zynismus (den es auch schon vorher gab), die Vermarktung, die Inszenierung. Auf der Suche nach dem richtigen Bild, den andere von einem gewinnen sollen. Und vorbildlich ist das auf jeden Fall, was da geboten wird. Langeweile ist das letzte, was beim Lesen dieser Gespräche aufkommt. Die Front spricht. Und wir, jedenfalls ich, hören gerne zu. Es ist die veradjektivierte Welt, die einen betört, damals wie heute. Sprachen und schrieben die Wiener in formvollendeter Akkuratesse, so tönen die Popkulturellen heute mit den fortgeschrittensten oder am besten geremodelten Labels. So was macht Eindruck, oder ein schlechtes Gewissen.

 

Natürlich gibt es immer Leute, die darüber erhaben sind. Aber von Partizipation haben schon die Klassiker geredet. Nur welche Unübersichtlichkeit: Die Linken würden jetzt sagen, dass die Klassik die materiellen Bedingungen der kulturellen Produktion ganz ausgeklammert haben, wohingegen es heute beinahe Konsens ist, dass das Links-rechts-Schema rein gar nichts mehr erklärt. Ist Popkultur links? Daran mag man nicht glauben, wenn man Christian Kracht bei Harald Schmidt gesehen hat. Oder Benjamin von Stuckrad-Barre neulich bei Herrn Panzer. Nein, der Pop feiert die Wiederkehr der Ständegesellschaft. Auch wenn es den Jung-Jubilaren manchmal zum Kotzen ist. Aber was tut’s, wenn selbiges im Ambiente des Hallenbads des Adlon geschieht. Alles mit Stil. Sogar die Konversation selbst. Manchmal fühlt man sich in ferne Jahrhunderte zurückversetzt. Höflichkeiten, wie man sie gar nicht mehr kennt. Auch wenn es nur um adidas geht. Oder die Scorpions (ich wusste gar nicht, dass es die noch gibt). Trotzdem sind die 70er Jahre weit weg, neue Empfindsamkeit sucht man hier (Gott sei dank) vergebens. Oder ist die Labelisierung die neue Etikette? Das so leicht zu verwundende Herz des Konsumenten? Wenn über Hamburg gelästert wird, über den legendären „Golden Pudel Club“? In den man selbst immer noch zu gehen wagt, auch wenn die Toiletten „menschenverachtend“ sind? Und der megahässliche Dress-Code der dortigen Szene? Aber das ist die affirmierte Dialektik unserer Décadents, dass sie lieben, was sie zu hassen vorgeben und dass ihre eigene Haut auch noch zu einem anderen Körper gehört. Wie auch immer, ich wünsche mir ein weiteres Treffen, vielleicht in Kärnten?

 

Dieter Wenk (02.02)

 

Joachim Bessing (Hg.), Tristesse Royal, Berlin 1999 (Ullstein)