6. Oktober 2004

Steins Koch

 

Von Gertrude Steins Roman „Autobiographie von Alice B. Toklas“ sagt man gelegentlich, er sei geschwätzig, und meint damit die Ich-Erzählerin Alice B. Toklas und spricht doch nicht von der historischen Figur, der Lebensgefährtin Gertrude Steins im Paris der 20er Jahre. Vielmehr ist man bei der Lektüre versucht zu fragen, ob es sie überhaupt gegeben hat. Denn die Ambiguität der Figuren, die es dem Leser unmöglich macht, fiktive und authentische Details der damaligen Pariser Kunst-Szene zu unterscheiden, wird bereits durch den Titel programmatisch. Wenn die Schriftstellerin sich selbst mit den Augen der Freundin beschreibt und damit zwischen den Charakteren changiert, so geht dem Leser jede Perspektive verloren, nach der sich etwa solche Sätze auflösen ließen, die den Vorwurf des Narzissmus geradezu heraufbeschwören: „Doch nun zurück zu den längst vergangenen Tagen, da Gertrude Stein ihre ersten langen Sätze schrieb, die hinfort die literarischen Ansichten sehr vieler Menschen ändern sollten.“

 

Monique Truong scheint sich bereits für eine Perspektive entschieden zu haben, wenn sie in ihrem Debütroman „Das Buch vom Salz“ beginnt, mittels eines Ich-Erzählers einen Ausschnitt aus dem Leben der beiden Frauen nachzuzeichnen und dabei einen freundlich-ironischen Tonfall anschlägt: „Und glauben Sie mir, GertrudeSteins Französisch ist furchtbar. Wie ein Schuh, der eine Treppe herunterfällt.“ Truong versucht hier keine Darstellung realer biographischer Zusammenhänge und doch instrumentalisiert sie diese für die eigene Erzählung. Dem literarischen Erbe Steins fühlt sie sich wohl kaum verpflichtet, ihr Interesse gilt den Geschichten, die sich um sie ranken. Die Gesellschaften in der Rue de Fleurus, bevölkert von Künstlern und Intellektuellen der westlichen Welt, bieten ihr die geeignete Folie, um die Exotik ihrer Protagonisten davor zu entfalten. Binh, ein vietnamesischer Koch, ein ganz Fremder unter Halbfremden, liebt Männer, arbeitet für Frauen, spricht über Essen und erinnert sich an Kindheit und Jugend im kolonialen Indochina. Die Metaphorik ist schlicht, aber wirkungsvoll. Des Französischen kaum mächtig, als Ich-Erzähler aber wortreich, artikuliert sich Binh über seine Kochkunst. Die Autorin ergeht sich hier in kulinarischen Vergleichen und Wortspielen, die als eine Art narratives Dekor atmosphärisch wirksam sind. Der Koch bildet in dieser Geschichte gewissermaßen das sinnlich-fernöstliche Pendant zu der fast mathematisch vorgehenden amerikanischen Schriftstellerin.

„Einfach? Welch ein seltsamer Wunsch, besonders in Bezug auf ein Dessert. Was für ein Mann ist das, der sich nicht nach etwas Köstlichem und Süßem am Ende eines Mahles sehnt? Ein Dessert sollte niemals nur ein einfaches Lebewohl sein. ... Der Anblick von sich ergebendem Fleisch, das sich so willig seinem Vergehen hingibt, berauscht euch. Winzige Samenkörner von mit Hitze geladenen Feigen werden sich unter eure Fingernägel schieben.“

Monique Truong will vielleicht einfach Geschichten erzählen, Geschichten, die eine Art Geheimnis in sich tragen. Nicht selten stößt man auf Beschreibungen und Dialogfetzen, die zunächst an nichts Vorangegangenes anknüpfen: die Erscheinung einer alten Frau, eine Schiffsreise oder die Angewohnheit, Speisen heimlich mit Körperflüssigkeiten zu versetzen – erst nach einigen Seiten erschließen sich die Zusammenhänge. Hier wird eine Technik der Fragmentierung angewandt, welche die Sprunghaftigkeit des menschlichen Gedächtnisses zu imitieren versucht, deren unmotivierter Einsatz hingegen die Rätselhaftigkeit kalkuliert erscheinen lässt.

 

Mit Gertrude Stein wird eine Literatin zitiert, der die Materialität von Sprache selbst als die größte ästhetische Herausforderung galt. Die Konstruktion von Identität und Geschlecht, die An- und Abwesenheit von Körpern, die Bedeutung von Klang und Rhythmus, all das wird in ihren Texten in unendlichen Variationen, nicht nur inhaltlich, sondern vor allem auf textlicher Ebene verhandelt.

„If I told him, would he like it. Would he like it, if I told him. Would he like it would Napoleon would Napoleon would would he like it... Who comes first. Napoleon the first. Who comes too coming coming too, who goes there, as they go they share, who shares all, all is as all as as yet or as yet...“

 

Karolin Meunier

 

Monique Truong: Das Buch vom Salz, C.H. Beck 2004

 

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