5. Oktober 2004

Ladys last

 

Wenn Martin Luther King einen Traum hat, finden das alle ganz toll. Beim Traum des Taxifahrers winken wir schnell ab, es wird in etwa unser eigener sein. Ein bisschen Kitsch, und das Ganze schön weit in die Zukunft aufgeschoben – auf nimmer sehen. Max (Jamie Foxx) fährt Taxi in L.A., seit zwölf Jahren. Aber er ist kein taxidriver. Irgendwas ist anders bei ihm, er wirkt rein, unschuldig, seine Höflichkeit von elfenbeinerner Naturhaftigkeit, und man nimmt ihm seinen Traum ab, der Zuschauer, und die Staatsanwältin, die während der Fahrt ganz gerührt ist von Max und sogar von sich erzählt, von ihren Ängsten, ihren Lämmern. Für seinen Kutschierdienst auf der Insel – so der Traum – braucht Max noch etwas Geld. Wie viel? Auf jeden Fall sollen die Leute dann gar nicht mehr aus seinem Wagen aussteigen wollen. Der Weg ist das Ziel. Schauen, genug haben, weiterfahren. Stop and go, polar zum Stau.

 

Dann steigt Vincent (Tom Cruise) ins Taxi. Die leise Melancholie der ersten Viertelstunde darf sich zur Ruhe legen. Die Komödie beginnt. Der Traum wird war, aber als Alptraum. Denn Vincent will tatsächlich nicht mehr aussteigen, aber leider ist Vincent ein struppiger Killer. Anders gesagt, der Übergang vom Traum zum Alptraum ist die Unmöglichkeit, im Viertagebart die gepflegte Ungepflegtheit des Dreitagebarts aufzuheben. Nichts scheint Leute mehr zu irritieren und zu faszinieren, als wenn andere ihr Ding gefunden haben und dieses Ding zugleich absolut skandalös, kriminell ist. Max fängt die Leute mit seinem butterweichen Traum von der Insel ein und ab. Das kann man wegwischen oder auch ganz sympathisch finden. Vincent dagegen hat seit sechs Jahren die Zukunft mit der Gegenwart versöhnt, und das einzige Problem das er hat, ist im Grunde noch nicht mal sein eigenes, sondern das der anderen irgendwie Involvierten, die „daran“ glauben müssen.

 

Konversationen, die ins Melancholische sich verlängern, gebieren möglicherweise den Austausch von Visitenkarten. Das ist das bürgerlich amouröse Spiel des Stop and go. Zögern, verführen. Bei Vincent heißt es immer nur: Das war das, und jetzt weiterfahren. Aber genauso hatte es sich Max ja vorgestellt. Wo ist der Unterschied? Wenn alle doch nur ihren Job machen? Und vor allem: Was für Leute würde Max denn auf seiner Insel rumfahren? Eben auch nur solche wie Vincent, das heißt Leute, die auch schon angekommen sind. Die sich nichts sagen lassen, die zynisch sind. Es gibt diese schöne Szene im Taxi, in der Max in einer zugegeben etwas rüden quasi-analytischen Sitzung die Wahrheit über sich erfährt: Ich fahre jetzt schon zwölf Jahre lang Taxi, und ich tue alles, damit der Traum, den ich träume, Traum bleiben kann. Diese Erkenntnis tut weh, aber jetzt wird Max zum Analytiker und präsentiert Vincent die Rechnung: Wenn alles keinen Sinn hat und der Traum keinen Platz in der Welt und die Ewigkeit sowieso, dann kann man auch jetzt schon Schluss machen, das Tempo erhöhen, rote Ampeln überfahren, verunfallen. Das wiederum passt dem Terminator Vincent gar nicht, er hat immerhin noch einen Auftrag zu erfüllen, der letzte Kandidat auf der Tötungsliste, zuletzt, so die Lehre, muss immer für die Wirklichkeit plädiert werden.

 

Das ist die List der Wirklichkeit: Auch ihre scheinbaren Überwinder stehen grundsätzlich in einem Angestelltenverhältnis zu ihr. Auch die Metaphysik ist bürokratisch grundiert. Der einzige aber, der hierbei noch etwas lernen kann, ist Max, der im Gegensatz zu Vincent über eine Richterskala verfügt, die nach oben ja immer offen ist. Max chamäleonisiert schnell, aber auf eigene Rechnung, zum Zweck des Überlebens und des Schutzes anderer. Konsequenterweise muss Vincent in der U-Bahn sterben, die immer nur hin und herfahren kann, Abstellkammer auch des beruflichen Alltags, während das Taxi… Der Traum kann weitergehen.

 

Dieter Wenk (10.04)

 

Michael Mann, Collateral, USA 2004