Zwischen Trauma und Furor
Schon einmal hat sich Art Spiegelman, der Pionier des „Comix“, mit einem Trauma von historischen Ausmaßen beschäftigt und damit Literaturgeschichte geschrieben: In den beiden „MAUS“-Bänden erzählte er provozierend und an die Nieren gehend die Geschichte seines Vaters, der Auschwitz und Dachau überlebte. Jetzt also ein Buch über Spiegelmans eigenes Trauma: In seiner Wohnung direkt neben dem WTC hat er zusammen mit seiner Familie den 11.09. und das Leben danach vor Ort erlebt.
Bereits die Entstehungsgeschichte von „In the Shadow of No Towers“, im Vorwort des Buches beschrieben, liest sich einigermaßen abenteuerlich: 2002 hatte Spiegelman seinen Job beim „New Yorker“ an den Nagel gehängt, nachdem das Magazin wie die meisten US-Medien auf patriotische Durchhalteparolen setzte, Spiegelmans Covers aber immer kritischer und vor allem düsterer wurden – wie das todtraurige Titelbild vom 24.09. 2001, das jetzt auch auf dem Einband von „In the Shadow“ zu sehen ist: Die beiden schwarzen Twin Towers auf schwarzem Hintergrund. Anschließend arbeitete Spiegelman wie ein Besessener daran, seine traumatischen Erlebnisse in Comics zu verarbeiten. Nur: Keine der großen Zeitungen in den USA wollte sie drucken. Erst als Michael Naumann Spiegelman vollkommene künstlerische Freiheit zusicherte, konnten die ersten der auf zehn Folgen angelegten Serie in der „ZEIT“ erscheinen.
Wenn man jetzt „In the Shadow of No Towers“ aufschlägt, versteht man, warum Spiegelman beim DIN-A3-Format der Serie keine Kompromisse eingehen wollte: Jede Folge ähnelt einem auch farblich ausgeklügeltem Plakat, das im Großen oft der Form der Towers nachempfunden ist und im Kleinen in eine Collage aus Comicstrips in den unterschiedlichsten Stil-Parodien („Little Nemo“) und „MAUS“-Selbstzitaten zerfällt. Geht es nach der bloßen Erfindungskraft der Panels und Stile, fühlt man sich beim Anblick der zehn Comics überwältigt.
Inhaltlich kann Spiegelman jedoch erstaunlich wenig Originelles zum Thema „Trauma“ und „11.09.“ beisteuern: Die Erzählung von der Rettung der kleinen Tochter aus der Schule neben dem WTC, die als roter Faden der Serie dient, kennt man inzwischen so oder so ähnlich aus dutzenden Reportagen; die ständige Selbstaussage, traumatisiert zu sein und nicht vergessen zu können, erstarrt bald zur bloßen phrasenhaften Behauptung; das Trauma selbst bleibt am Ende nicht so recht nachvollziehbar. Ganz im Unterschied zur Wut Spiegelmans angesichts der Regierung Bush — ein Thema, das nach und nach in den Vordergrund tritt: Trauma wird Furor. Sei es der verängstigte US-Adler, den Bush und Cheney mit dem Ausruf „Let’s Roll!“ durch die Lüfte steuern oder die Anekdote vom Auftritt Spiegelmans in einer TV-Sendung, aus der er wegen unpatriotischer Äußerungen verwiesen wurde: Die ätzenden politischen Karikaturen sind Spiegelman at his best.
In der zweiten Hälfte des Buchs, das wohl mit seinen zehn DIN-A3-Pappseiten auch den Herausgebern etwas dünn erschien, hat Spiegelman aus Comicklassikern wie „The Kin-der-Kids“ oder „Little Nemo“ solche Folgen ausgewählt, die motivisch mit dem 11.09. in Verbindung stehen. Da zertreten Riesen Hochhäuser und eine „Independence Day“-Feier endet in einer Explosion: der 11.09. als Wirklichkeit gewordene mediale Fantasie.
Thomas von Steinaecker
Art Spiegelman: In the Shadows of No Towers (Pantheon)