21. Juli 2004

Stolpern und Rucken

 

Wanda gehört zu den Stolpermenschen. Sie stolpert genauso in die Ehe wie sie in eine Regenpfütze stolpert. Die eine Hälfte der Stolpermenschen bleibt dann in der Ehe, die andere geht wieder raus. Wanda (Barbara Loden) hat zwei Kinder. Das ist ihr egal. Ihr Mann besorgt sich eine andere Frau, wegen der Kinder, sagt er. Er will sie heiraten, die andere. Wanda hat nichts gegen eine Scheidung, auch wenn der Typ vom Gericht ihr das erst mal nicht glaubt. Eine Frau kämpft um ihre Kinder, so geht die Sage. Jetzt ist Wanda also frei. Sie schleicht ein bisschen hier rum und da rum, sucht ein bisschen Anschluss, geht ins Kino, was soll sie sonst machen. Ein Mann lädt sie zum Bier ein, schläft mit ihr, nimmt sie mit seinem Auto mit und lässt sie dann irgendwo stehen. Im Kino hat man Wanda ihr Geld geklaut. Sie stolpert in eine Bar hinein, ein verhuschter Mann sagt ihr, sie solle verschwinden. Wanda bleibt, will nur kurz bleiben, macht sich auf der Toilette frisch, geht an die Bar und will was trinken. Der Zuschauer sieht, was Wanda nicht sieht. Der Typ ist gar nicht der Mann hinter der Theke. Der Mann hinter der Theke liegt hinter dieser, gefesselt. Der andere ist ein Bösewicht. Wanda verlässt mit ihm den Laden. Der Mann ist nicht sehr freundlich. Immerhin nimmt er Wanda mit ins Hotel. Am nächsten Tag liest Wanda dem Mann einen Artikel aus der Zeitung vor, woraus man lernt, dass Wanda kaum lesen kann und der Mann ein Verbrecher ist. Wanda ist nicht sehr schockiert. Sie bleibt. Der Mann, Mr. Dennis (Michael Higgins), lässt sie bei sich.

 

Ein Road-Movie beginnt. Kleine Diebstähle, Gaunereien. Die beiden kommen sich ein bisschen näher. Natürlich muss der Sohn, selbst als Verbrecher, irgendwann mal bei seinem Dad vorbei, das ist so in Amerika. Ob der Sohn jetzt Arbeit hat. Noch nicht. Hm. Der Vater nimmt kein Geld an von seinem Sohn. Der Sohn gelobt, einen Job zu finden. Das hört der Vater gern. Als nächstes wird allerdings ein größeres Ding gedreht, mit Überfall und Bankraub. Wanda ist mit von der Partie. Eigentlich ist sie ganz stolz, als Mr. Dennis sie mal lobt. Lob hört jeder gern. Ab einem bestimmten Punkt ist es auch nicht mehr so wichtig, von wem das Lob kommt. Der Bankraub geht schief, Mr. Dennis stirbt. Jetzt ist Wanda wieder allein. Natürlich ist da sofort wieder ein Mann, ein Soldat, der sie einlädt und der dann natürlich mehr will. Und dann gibt es halt doch noch eine Grenze, Wanda hört auf zu stolpern, sie flieht vor dem Mann. Dann ist sie wieder in einer Kneipe, man fiedelt wild herum, man sitzt eng beieinander, trinkt, raucht, die Männer gehen die Frauen an, aber Wanda ist sehr in sich eingeschlossen, unzugänglich, dann friert das Bild ein, und man sieht ein Gesicht, das von einer Endgültigkeit ist, die entsetzt, weil Wanda ja eigentlich noch ziemlich jung ist, aber das Leben ist schon vorbei.

 

Was machen die Wandas in den Zuschauerrängen, wenn sie sich selbst sehen? Sie sehen sich nicht, weil sie andere Filme sehen. So finden sie nie zueinander. Jede träumt für sich allein. Anders als die Männer, die in jedem Fall unter Handlungszwang stehen und Stolperverbot haben. Sich nach Geld abhetzen müssen. Die Hatz geht bis in den Blick hinein, kein langsames, verführerisches Sichumdrehen nach Wanda. Frauen stolpern, Männer rucken. Keine Zeit für Zärtlichkeit, Verbrecher haben keinen Achtstundentag. Dafür müssen sie dann Pillen nehmen, weil, gesund ist das nicht, was sie machen. Ab einem bestimmten Punkt ist absolutes Scheitern Erlösung.

 

Dieter Wenk (07.04)

 

<typohead type=2>Barbara Loden, Wanda, USA 1970</typohead>